Göttingen - Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder ist mit einem Vorstoß für die Lockerung der Gesetze zur embryonalen Stammzellenforschung auf heftige Kritik gestoßen. Deutschland dürfe sich "der Tendenz zu einer Liberalisierung der Forschung mit embryonalen Stammzellen auf Dauer nicht entziehen", sagte Schröder bei der Entgegennahme eines Ehrendoktors der Universität Göttingen am Dienstag. Er sei für "eine Kultur der Forschung ohne Fesseln, aber nicht ohne Grenzen". Grüne, Union, Ärzte und Kirchenvertreter protestierten gegen den Vorstoß Schröders.

Schröder betonte "das enorme Potenzial der Biotechnologie" etwa zur Entwicklung neuartiger Medikamente und verbesserten Saatguts. Gerade die Forschung mit Stammzellen wecke Erwartungen, von denen nicht sicher sei, ob sie erfüllt würden. "Aber es handelt sich um eine Forschung, von der wir uns durchaus erhoffen dürfen, dass sie neue Medikamente und Heilverfahren bei bislang unheilbaren Erkrankungen hervorbringen kann." Wer dazu Nein sage, müsse sich später fragen lassen, ob er auch den Import solcher Medikamente verbieten wolle.

"Immer wieder neu entscheiden"

Schröder räumte ein, dass sich Deutschland mit dem Stammzellengesetz von 2002 "auf die Seite der restriktiven Länder" gestellt habe. Angesichts der rasanten Entwicklung müsse die Gesellschaft aber immer wieder neu über die Nutzung der Gentechnik entscheiden. Er sei bereit, sich an dieser Debatte neu zu beteiligen. Deutsche Forscher dürfen derzeit keine solchen Stammzellen gewinnen, können diese aber einführen, wenn sie vor 2002 erzeugt wurden.

Forschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) zeigte sich offen für neue Gesetze zur Regelung der Forschung in der Gentechnik. Es dürfe "nicht zu einer Abkopplung der Forschung in Deutschland kommen", sagte sie am Dienstag am Rande einer SPD-Fraktionssitzung in Berlin. SPD-Ethikexperte Rene Röspel zeigte sich zurückhaltender. Die jüngsten Forschungserfolge seien kein Grund für eine Lockerung der Rechtslage.

Grünes Nein

Ein klares Nein kam vom Koalitionspartner. Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, bezeichnete die Nutzung von Embryonen für Stammzellen einen "forschungspolitisch verbrämten Kannibalismus". Er warnte davor, Grenzen in der Bioethik "leichtfertig den Heilsversprechen der Medizin und den ökonomischen Interessen der Pharmaindustrie zu opfern".

Unions-Fraktinosvize Maria Böhmer warf der Regierung vor, ihre ethischen Grundsätze über Bord zu werfen, "um sich einen forschungsfreundlichen Anschein zu geben". Unions-Ethikexperte Thomas Rachel sagte, die ethische Bewertung der Embryonal-Forschung dürfe "nicht von wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Erfolgen abhängig gemacht werden". Nur die Freidemokraten sprachen sich für eine Aufhebung jeglicher Beschränkungen bei der Stammzellenforschung ein.

"Die wirtschaftliche Ausbeutung menschlichen Lebens in Deutschland ist sittenwidrig und muss es auch bleiben", sagte der Vorsitzende der Krankenhausärzte-Vereinigung Marburger Bund, Frank Ulrich Montgomery, am Dienstag in Köln. Embryonen nicht als menschliche Wesen anzusehen, sondern als etwas Abstraktes, sei "das traurige Zeugnis eines ad absurdum geführten Materialismus", sagte der geschäftsführende Präsident des Malteser Hilfsdienstes, Johannes Heeremann.

Nach einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage für das ZDF Magazin "Frontal" sind 40,6 Prozent der Deutschen für eine Lockerung der gesetzlichen Beschränkungen. 28,3 Prozent sprachen sich dagegen aus, 31,3 Prozent legten sich nicht fest.

Embryonale Stammzellen können auf zwei Wegen gewonnen werden: Aus geklonten Embryonen oder aus Embryonen, die bei der künstlichen Befruchtung übrig geblieben sind. In Österreich gibt es bisher kein explizites Klonverbot, mit einer neuen Vorlage zum Fortpflanzungsmedizingesetz soll diese Lücke geschlossen, aber auch die Aufbewahrungsfrist von durch künstliche Befruchtung entstandene entwicklungsfähige Zellen verlängert werden. (APA/dpa/AP)