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Die Hauptakteure im Streit um die EU-Finanzen: Frankreichs Präsident Jacques Chirac und Großbritanniens Premier Tony Blair.

Foto: APA/EPA/Olivier Hoslet
Die "Nacht der langen Messer": So wird martialisch die letzte lange Verhandlungsnacht genannt, in der festgelegt wird, welcher Staat wie viel aus dem Milliardenkuchen EU-Budget bekommt, und - an der "Heimatfront" des jeweiligen Regierungschefs politisch besonders heikel - wer wie viel in den EU-Topf einbezahlen muss.

Die 25 Staats- und Regierungschefs verhandeln ab Donnerstag in Brüssel den EU-Haushalt für die Jahre 2007 bis 2013. Die Messer dafür werden schon seit Langem gewetzt: Jeder Mitgliedstaat hat seine Forderungen, Wünsche und Begehrlichkeiten formuliert und beim derzeitigen EU-Ratspräsidenten, dem Luxemburger Premier Jean-Claude Juncker, deponiert.

Streit um Agrarbudget

Dieser hatte in den vergangenen Wochen vergeblich Kompromissvarianten auszuloten versucht, war aber bei einigen Staaten auf erbitterten Widerstand gestoßen, wobei die "Hauptfront" zwischen Frankreich als Hauptprofiteur der üppigen Agrarsubventionen an Großproduzenten auf der einen und Großbritannien verlief, das ganz anders "tickt" auf der anderen Seite .

Ob es am EU-Gipfel Freitag zu einem Kompromiss kommt, ist fraglich. Juncker hat die Erwartungen auf eine Einigung Mittwoch erst einmal zurückgeschraubt: "Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir die finanziellen Perspektiven auf diesem Gipfel nicht durchkriegen werden", gab er sich betont pessimistisch.

In Luxemburger Verhandlungskreisen gab man sich dagegen optimistischer. Schließlich wurde am Mittwochabend ein neuer Vorschlag für die Finanzverhandlungen präsentiert. Junckers Aussagen wurden als Taktik und bewusstes Tiefstapeln interpretiert, um den Druck auf Einigung zu erhöhen.

"Widerstandsnester"

Juncker selbst allerdings begründete seinen Pessimismus wortreich: Es gebe trotz intensiver Vorverhandlungen noch große "Widerstandsnester" bei den Verhandlungen. Die Ansichten über eine Begrenzung der Nettozahlerbeiträge und über die Reduzierung des Britenrabatts gingen noch weit auseinander.

Die Briten wollen insbesondere nur dann über ihren Beitragsrabatt verhandeln, wenn gleichzeitig auch die Agrarausgaben zur Disposition gestellt werden. Der französische Premierminister Dominique de Villepin schloss am Mittwoch eine Neuverhandlung der EU-Landwirtschaftshilfen aus. Niemand könne die bestehenden Vereinbarungen "zurücknehmen", sagte er. Frankreich wird hier von Deutschland unterstützt.

Bulgarien und Rumänien als Verhandlungsmasse

Als Verhandlungsmasse gelten die Agrarzuschüsse für die künftigen EU-Staaten Bulgarien und Rumänien. Luxemburg hat bereits vorgeschlagen, die Direktzahlungen für Bauern in Rumänien und Bulgarien in Höhe von acht Milliarden Euro ab dem Beitritt beider Länder, der spätestens 2008 erfolgt, in das Finanzpaket einzubauen.

Sechs Milliarden Euro sollen dann aus dem rund 300 Milliarden Euro schweren Agrarpaket von 2002 bereitgestellt werden, zwei Milliarden müssten aus anderen Bereichen aufgebracht werden. An den Förderungen für den ländlichen Raum werde es "keine substanziellen Änderungen" mehr geben, hieß es aus Luxemburger Verhandlungskreisen.

Hier sei mit 73 Milliarden Euro bereits ein "Minimalergebnis" erreicht worden. Gegen Kürzungen in diesem Bereich hatte sich auch Österreich ausgesprochen.

"Umschichtungen" in der Strukturpolitik

Änderungen werde es durch kleinere "Umschichtungen" in der Strukturpolitik für die ärmeren Regionen geben, die den Forderungen einiger Mitgliedstaaten entgegenkommen sollen, hieß es in Diplomatenkreisen. Der vorgeschlagene gesamte Ausgabenrahmen von rund 305 Milliarden Euro für die Strukturhilfen soll aber unverändert bleiben.

Der Finanzvorschlag bleibt bei dem vorgeschlagenen EU-Ausgabenrahmen von 1,06 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) oder insgesamt 871 Milliarden Euro. Die EU-Kommission hatte 1,24, das EU-Parlament 1,07 und die Nettozahler, darunter Österreich, eine Beschränkung auf 1,0 Prozent des BNE gefordert.

Nicht alle haben Eile

Einen großen Druck, einen Kompromiss zu erzielen, sehen bei Weitem nicht alle: Österreichs Kanzler Wolfgang Schüssel etwa betonte am Mittwoch, dass er "keine Eile für eine Einigung im EU-Finanzstreit" erkennen könne. Denn: "Wir sind etwas früh dran."

Auch die Finanzvorschau für die Jahre 2000 bis 2006 sei erst ein dreiviertel Jahr vor Inkrafttreten beschlossen worden. Für ausgeschlossen hält Schüssel ein "kleines europäisches Wunder" aber nicht. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso appellierte am Mittwoch an die Staats- und Regierungschefs, lieber einen "nicht perfekten Kompromiss zu erzielen als gar keinen".

Am Freitag wird sich zeigen, ob die Staats- und Regierungschefs Barrosos Ansicht teilen. Oder ob sie die "Nacht der langen Messer" verschieben - auf einen anderen Gipfel. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.06.2005)