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Dass er sich dabei mehr als einmal übernommen hat, tat der Stimmung keinen Abbruch.


Wien – Wenn Künstler an ihre Grenzen stoßen, ist es von Vorteil, wenn ihr Publikum nicht dabei ist. Im Falle von Rod Stewart bedeutet das: Ein Fußballer in einem Frack ist immer noch ein Fußballer. Leider. Als der 60-jährige Sänger am Mittwoch nach einer weiteren Textilveränderung auf eine stilistisch exzellent ausgestattete Bühne voller Goldvorhänge, mit einem eleganten Orchester und stimmungsvollem Licht kam und As Time Gime Goes By als ersten einer Hand voll Standards aus den 30er- und 40er-Jahren gab, wurde es nämlich hart.

Stewarts im Normalfall ja nicht unwitziger und nicht uncharmanter Hang zum gestischen Overacting entpuppte sich hier schlicht als Stillosigkeit. Anders als sein Kollege Bryan Ferry, der vor einigen Jahren wie Stewart ein Album mit ähnlichem Songmaterial aus den Federn von Leuten wie George Gershwin oder Cole Porter aufgenommen hatte, zappelte der prototypische Vo-ku-hi-la-Träger, als müsste er ganz dringend für kleine Jungs.

Da konnten die Streicher noch so dick auftragen, die Saxofonistin noch so verführerisch mit dem Fuß am Stand schaben – der Schotte war schlicht peinlich und verbockte nach As Time Goes By in selber Art The Nearness Of You oder Blue Moon. Da halfen weder Humphrey Bogart noch Ingrid Bergmann, die sich auf der Leinwand hinter der Band anschmachteten.

Bereits davor bewies der rüstige Roderick David Stewart, einstiger Fußballer und seit gut vier Jahrzehnten durchaus verdient in der Popgeschichte umtriebig (Jeff Beck Group, Small Faces...) hier vor sicher 6000 Besuchern in der Wiener Stadthalle, dass man mit fehlendem Gefühl noch die beste Nummer kaputtmachen kann.

Downtown Train etwa, jener exzellent-triste Vorstadt-Blues von Tom Waits, wurde von einem brachial-schlechten Schlagzeugsolo entstellt, während es bei der Herzrausreißer-Ballade The First Cut Is The Deepest plötzlich den Gitarristen überkam und er, im Bühnenvordergrund in die Knie gehend, ein grausam deplatziertes Solo spielte.

Aber nicht alles an diesem Abend war schlecht. Solide und spürbar in Spiellaune gab Stewart den alten Rock-Stomper Sweet Little Rock'n'Roller, bei dem der Pianist tief in den Boogie griff und der Stehbass Fifties-affin Authentizität verströmte. Zwar verhaute Stewart bei Rhythm Of My Heart den ersten Einsatz ("Fuck!"), aber er machte es, mit den Background-Ladys tänzelnd, wieder gut.

Beim Schmachtfetzen I Don't Want To Talk About It wog sich der Saal im Chorgesang und bekundete mittels rituell hochgehaltener Feuerzeugflämmchen Zustimmung. Apropos Schmachtfetzen, apropos Ritual: kein Rod Stewart ohne Sailing . Zuletzt soll er in Glasgow dabei angeblich geweint haben. Ergriffenheit vor sich selbst: Saalflucht! (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.6.2005)