Ausgabe vom 19. Oktober 1988

Foto: STANDARD/Adsy Bernart
Ein "tägliches Vogue" erwarteten sich Zeitungsauguren von der Gründung Oscar Bronners noch im Frühjahr 1988. Am Anfang stand die jedoch Idee, durch eine Zeitungsgründung die Modernisierung Österreichs zu beschleunigen. Ein "Wirtschaftsblatt" zu publizieren, das ökonomische Debatten und fundierte Berichterstattung nach Österreich bringt. Die Testleser der Probenummern im Sommer 1988 signalisierten sofort den Wunsch nach einer "Vollzeitung" – nach Kulturseiten beispielsweise, die dem Film oder der Rock-Kultur mehr als nur Randspalten widmen würden. Nach außenpolitischen Schwerpunkten. Oder nach Einblicken in die explodierende Welt der Medien, was in der österreichischen Presserealität überhaupt fehlte.

Klima der Vergesslichkeit

Tatsächlich war die Geburt der neuen, wirklich unabhängigen Tageszeitung von einem Klima der Vergesslichkeit in Österreichs Waldheimat umgeben. Sprüche und Einstellungen, die heute dazu führen, dass ein Politiker, der dies nicht bleiben lässt, auch nicht Vorsitzender eines Hauses des Parlamentes werden kann, waren in den Achtzigerjahren noch allgemein akzeptiertes Unterfutter des politischen Alltags.

Herausforderungen

Zu helfen, dieses Land von seiner Verfilzung mit der autoritären Vergangenheit zu lösen, wurde von der Gründungscrew als eine der Herausforderungen ihres Journalismus betrachtet. Die vergessenen Raubkunst-Skandale ans Licht gebracht zu haben, wurde im STANDARD als Nachweis für Qualitätsjournalismus gesehen.

Sich der Aufklärung der Vergangenheit allein zu widmen wäre jedoch zu wenig. Rassismus und Ausländerfeindlichkeit abzubauen, die Justizpraxis zu analysieren sind komplementäre Aufgaben. Diesen Weg ist DER STANDARD seit seiner Gründung zusammen mit dem "Falter" und manchmal auch mit dem "profil" gegangen. Vor allem die Wiener Stadtzeitung hat besonderen Mut und ein Niveau entwickelt, das dem österreichischen Journalismus couragierten Nachwuchs sichert.

Natürlich treten immer wieder Magazin-Verleger auf und propagieren ihren "neuen Journalismus", den sie letztlich jedoch der alten Masche "Sensation" unterordnen. Und einem offensiven Marketing.

Pflege der "Streitkultur"

Weil die Standpunkte zu all diesen Fragen naturgemäß kontroversiell sind, braucht der Qualitätsjournalismus die Pflege der "Streitkultur". DER STANDARD hat in Österreich den "Kommentar der anderen" auf die täglich geöffnete Debattenbühne gestellt. Und er hat "Konfrontationen" inszeniert – heute ein selbstverständlicher Teil des Mediengeschehens.

Chancen des Qualitätsjournalismus der Zukunft

Wo liegen die Chancen des Qualitätsjournalismus der Zukunft? Zweifellos in einer noch genaueren Trennung zwischen Kommentar und Bericht, der die Tatsachentreue in den Vordergrund stellt. Schwer genug, wenn man an den "embedded journalism" des Irakkriegs denkt. Angesichts der Textkürze und Spracharmut elektronischer Medien, vor allem des Quotenfernsehens, ist die Qualität der Sprache eine Priorität. Das Leseerlebnis. Die dritte Chance sind spannende Bild-Text-Kombinationen und Vernetzungen mit den neuen Medien.

Zusammenarbeit mit internationalen Zeitungen

Zweifellos hat der Journalismus à la STANDARD auch Schwächen. Anspruchsvolle Leserinnen und Leser verlangen immer wieder ihre Beseitigung. Unsere im Vergleich zu den etablierten internationalen Blättern knappen (vor allem personellen) Ressourcen versuchen wir durch die Zusammenarbeit mit internationalen Zeitungen zu ergänzen. Seit einigen Monaten mit der Beilage der "New York Times" in der Montagsausgabe. Und seit einem Jahr bereits mit dem Exklusivrecht für den Abdruck der Artikel von "Washington Post" und "Los Angeles Times". Für uns ein weiterer großer Schritt Richtung Internationalität und Erweiterung, die DER STANDARD immer dann mit Vertiefung kombinieren kann, wenn es um die Berichterstattung und Kommentierung großer Krisen geht. Die Sprachkenntnisse der Redakteurinnen und Redakteure, ihr fachlicher Hintergrund stellen den STANDARD dann in eine Reihe, die von den kleineren Ländern der EU sonst nur die Schweiz und Irland bedienen können. (DER STANDARD/Album, Printausgabe, 18./19.6.2005)