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Die österreichische Zeithistorikerin Erika Weinzierl feierter kürzlich ihren 80. Geburtstag.

Foto: APA/GUENTER R. ARTINGER
STANDARD: Wenn Sie jetzt zurückblicken auf 50 Jahre akademische Beschäftigung mit Zeitgeschichte und mit dem Nationalsozialismus und Sie hören dann die Aussagen von Kampl und Gudenus – wie fühlen Sie sich dabei?

Erika Weinzierl: Schlecht. Also die beiden sind ja nicht so alt. Die sind ja nach dem Nationalsozialismus geboren oder sie waren Kinder zu der Zeit. Ich war am Samstag im Belvedere bei einer Diskussionsveranstaltung, und da waren auch zwei junge Leute, und die wurden von der Moderatorin gefragt, was sie jetzt – als Schüler – vom Staatsvertrag gehört haben, was sie von der Neutralität gehört haben in der Schule, und die sagen: nichts. Wenn mir das Junge sagen, dann braucht man sich gar nicht so wundern über die Herren Kampl und Gudenus.

STANDARD: War dann alles vergebens, was man an den heimischen Universitäten alles an Forschung und was man an Lehre produziert hat?

Weinzierl: Nein, das glaube ich denn doch nicht. Ich habe doch, gerade auch an der Universität, sehr viele informierte, engagierte Studenten gesehen, die mittlerweile im Lehramt sind, und von denen bin ich mir sicher, dass sie Zeitgeschichte vermitteln.

STANDARD: Predigt man nicht doch nur zu den ohnehin Überzeugten?

Weinzierl: Ich hatte kürzlich eine Veranstaltung, da waren hauptsächlich Besucher aus dem niederösterreichischen ländlichen Raum. Ich hatte nicht den Eindruck, dass hier alle ohnehin alles wussten.

STANDARD: 44 Prozent aller Befragten sagten in einer Umfrage vom Fessel-GfK, der Nationalsozialismus hatte sowohl gute wie auch schlechte Seiten. Wie erklärt man so etwas?

Weinzierl: Nationalsozialisten haben damals gute Zeiten gehabt. Und wenn auch nicht mehr so viele leben, ich glaube, dass da persönliche oder tradierte persönliche Meinungen durchkommen.

STANDARD: Wenn Sie zurückblicken auf Ihr Werk, was war Ihnen wichtig bei Ihrer Arbeit, was wollten Sie erreichen?

Weinzierl: Meine Motivation war schon die Aufklärung. Aber zu meiner persönlichen Motivation: Meine beiden besten Freundinnen in der Mittelschule waren so genannte Mischlinge, ich kann heute darüber reden, weil sie beide schon tot sind. Und dadurch habe ich noch im Krieg ihre jüdischen Mütter kennen gelernt. Das hat bewirkt, dass ich noch im Krieg erfahren habe, was mit den jüdischen Verwandten dieser Mütter geschehen ist, die Deportationen ...

Das, was mich dann 1945, selbst mich, noch tief geschockt hat, das war das Ausmaß, aber das Faktum habe ich gewusst. Ich selbst wurde von einer Mitschülerin denunziert, weil ich die beiden Halbjüdinnen besucht habe.

STANDARD: Sie haben gewusst, dass sie deportiert oder dass sie umgebracht werden?

Weinzierl: Dass sie deportiert waren, habe ich erstens mit Sicherheit gewusst, und dann habe ich doch gehört, dass dann Pakete zurückgekommen sind und keine Post mehr gekommen ist, und dann waren schon Vermutungen, die leben nicht mehr. Diese Massenmorde habe ich aber nicht wirklich gewusst.

STANDARD: Hat das irgendeine Wirkung auf Ihr Menschenbild, wenn Sie all diese Geschichten hören und all diese Geschichten wissen?

Weinzierl: Ich bin keine toll eifrige Kirchengeherin, aber ich bin eine gläubige Katholikin, und von daher ist mir klar, dass der Mensch gut und böse ist. Und daher ist so etwas schmerzlich, es schockiert mich auch, aber man muss es sozusagen zur Kenntnis nehmen und, so weit man kann, dagegen auftreten.

STANDARD: Wie hätten wir Jüngeren uns damals verhalten, wie muss man sich verhalten?

Weinzierl: Ich finde, dass man verlangen kann und soll, es aber offenbar in der Vergangenheit nicht genügend getan hat und vielleicht auch heute nicht genug tut, Solidarität zu üben mit Verfolgten, wer immer das ist – eine Minderheit unter den eigenen Bürgern.

STANDARD: Juden zu verstecken war lebensgefährlich.

Weinzierl: Ich bin nicht wirklich in die Situation gekommen, und ich war dafür damals natürlich etwas zu jung. Aber in die Häuser dieser Jüdinnen bin ich gegangen, und diese Freundschaften habe ich aufrechterhalten, und über die Jahre hinweg. Ich habe mich sogar in die hinterste Bank gesetzt zu denen.

STANDARD: Sie haben jüngst auf der Schallaburg eine große Veranstaltung gehabt zu den Nachkriegsfrauen ...

Weinzierl: "Viel geschehen, nichts gesehen" war das Motto. Dass eben Frauen sehr viel gemacht haben, gerade auch in der Nachkriegszeit und im Wiederaufbau, und dass das eben nicht entsprechend gewürdigt worden ist in den Medien, in der Öffentlichkeit.

STANDARD: Sind das die berühmten Trümmerfrauen? War das so, dass die Trümmerfrauen Nazis waren, die Sühnearbeit leisten mussten?

Weinzierl: Nein, das ist falsch! Ich habe im Jahre 1945 auf der Uni-Rampe mit Kollegen und Kolleginnen aus der Katholischen Hochschulgemeinde , die damals inoffiziell eben da waren, geräumt, und neben uns haben exnationalsozialistische Studenten geräumt. Wir haben einander nicht beschimpft, wir haben miteinander nicht geredet. Wir haben von uns aus geräumt, und die mussten räumen. Das habe ich in Ordnung gefunden.

STANDARD: Was könnte man tun, um die Rolle dieser Frauen stärker zu bewerten ...

Weinzierl: Mehr Bücher über sie schreiben, sich mehr mit ihnen befassen, da gibt es wirklich nicht sehr viel Forschungen.

STANDARD: Sie haben gesagt, die Jugend sei heute wesentlich demokratischer und offener als noch in den Fünfzigerjahren.

Weinzierl: Ja, obwohl wie gesagt – im Unterricht weder vom Staatsvertrag noch von der Neutralität was gehört ... (DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.5.2005)