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Klingenkreuzen nach Brüssel: Am Samstag, dem 190. Jahrestag, wurde die Schlacht von Waterloo nachgespielt.

Foto: Reuters
Brüssel - Nach dem Scheitern des EU-Gipfels scheint die Brüsseler Kommission voll auf die Erweiterungsbremse zu steigen. Der Beitritt Rumäniens scheint fix, er kann aus heutiger Sicht um ein Jahr, auf 2008, verschoben werden. Ebenso jener Bulgariens. Kroatien hingegen wird dem Vernehmen nach erst 2010 beitreten können.

Im STANDARD-Interview sagt EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner auf die bei ihr gewohnt vorsichtige Art: Man sollte nachdenken, ob man nicht zu schnell zu weit gegangen ist. Man müsse auch genauer verhandeln.

Günter Verheugen, Vizechef der Kommission und bisher stets ein "schneller" Erweiterungsanwalt, wurde konkreter: "Wir brauchen mehr Zurückhaltung." Und zur Beitrittsfrage der Türkei verwendete er die Schüssel-Formel: "Die Verhandlungen beginnen pünktlich. Aber sie werden ergebnisoffen sein." Es gebe auch noch andere Varianten als die Vollmitgliedschaft, fügte der SPD-Politiker hinzu.

Schuldzuweisungen heizen Diskussion an

Nachdem auf dem EU-Gipfel keine Einigung im Streit über die Verfassung und die Finanzen zustande gekommen war, herrschte im Brüsseler Europa-Viertel am Sonntag gespenstische Ruhe. Dafür kamen aus fast allen europäischen Hauptstädten Schuldzuweisungen und Wortmeldungen, die den Richtungsstreit über die Zukunft Europas weiter anheizten.

"Europa ist gespalten", konstatierte der britische Außenminister Jack Straw. Er attackierte den deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder: Dieser habe versucht, die Debatte als eine Wahl zwischen einer EU mit einem "manisch kapitalistischen System" oder einer EU, die sich um die soziale Fürsorge kümmert, darzustellen. Zuvor hatte Schröder den britischen Premierminister Tony Blair "völlig uneinsichtig" genannt.

Auch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel kritisierte Blair im deutschen TV-Sender ARD: Die Briten wollten keine Vertiefung der Union, sondern "ein anderes Europa" mit mehr Markt. Ein rein wirtschaftsliberales Modell verabschiede sich aber vom europäischen Sozialmodell.

Schüssel warnte Blair davor, als künftiger EU-Ratsvorsitzender seinen nationalen Willen den anderen Mitgliedern aufzuzwingen. Blair müsse versuchen, einen gemeinsamen Nenner zu schaffen. Dies ist auch in Schüssels eigenem Interesse. Denn er übernimmt am 1. Jänner 2006 von Blair den EU-Ratsvorsitz.

Da unter britischem Vorsitz keine Einigung im Finanzstreit zustande kommen dürfte, wird dies, wie die Lösung der Verfassungskrise, an Wien hängen bleiben. Die Zeit drängt: Da für die Vorbereitung der Rechtsvorschriften, vor allem für die Zuteilung der Milliarden aus den Strukturfonds, rund 18 Monate notwendig sind, könnte der Fall eintreten, dass Anfang 2007 nichts verteilt werden kann.

Betroffen wären vor allem die neuen EU-Länder, die nicht zuletzt deshalb auf dem Gipfel mit dem gemeinsamen Angebot überraschten, auf eine Milliarde Euro an Finanzhilfen zu verzichten. "Wir wollten jenen Ländern, die eine Einigung verhinderten, weil sie bis zum Letzten auf ihrem Standpunkt beharrten, ein Beispiel geben", so der ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany. Polens Regierungschef Marek Belka sagte, Schuld am Scheitern des Gipfels trage der "Egoismus in den reichen EU-Staaten". Außer Großbritannien hatten auch die Niederlande, Finnland und Spanien den letzten Vorschlag für die Finanzen 2007 bis 2013 abgelehnt.

"Wir haben jetzt eine doppelte Krise: eine Krise im Verhältnis der Bürger zur EU und eine Krise im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten", stellte der deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen fest. Die EU-Kommission hat deshalb einen Plan D vorgeschlagen - D wie Dialog. Die Kommissare wollen mehr in den Mitgliedstaaten für Europa werben. So soll es in der EU-Hauptstadt häufiger ruhiger werden und dafür Debatten anderswo geben. (DER STANDARD, Printausgabe, Alexandra Föderl-Schmid aus Brüssel, red, 20.6.2005)