Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Es war heute. Im Freibad. Da hat mein bester Freund dann die Welt nicht mehr verstanden. Schuld daran ist seine Nachbarin. Denn die ist uns dort über den Weg gelaufen. Oben ohne. Seither läuft mein bester Freund kopfschüttelnd durch die Gegend und verlangt, dass ihm das – bitte – jemand erklären soll.

Denn die Nachbarin meines besten Freundes ist eigentlich nicht so. Jedenfalls dachte er das. Nicht dass es uns etwas anginge – aber das Faktum, dass die junge Frau im Freibad völlig ungezwungen und fröhlich mit ihren Freundinnen und Freunden abhing und keinerlei Anstalten machte, zwischen sich und die Welt einen Sichtschutz zu bauen, hat meinen besten Freund ziemlich verwirrt.

Balkongeschoß

Denn zu Hause, in Fünfhaus, ist die Nachbarin meines besten Freundes ganz anders. Die junge Dame ist erst kürzlich eingezogen. In dem Haus, in dem mein bester Freund wohnt, gibt es nach hinten raus und ganz oben genau zwei Wohnungen. Beide haben je einen Balkon. Und außer vom Nachbarbalkon aus, sind die von nirgendwoher einsehbar: Weder von einer dritten Wohnung, noch von einem benachbarten Dach und schon gar nicht von der Straße aus. Aber da die Wohnungen nebeneinander liegen, liegen zwischen dem Balkon meines besten Freundes und dem seiner neuen Nachbarin eben gerade drei Meter. Maximal.

Das, erzählt mein bester Freund, sei auch schon so gewesen, als seine neue Nachbarin sich die Wohnung angesehen habe. Und dass er schwul ist, sagt mein bester Freund, hat er der jungen Frau auch gleich gesagt. Nur für den Fall, dass sie es nicht ohnehin an seinem Freund und der Regenbogenfahne an der Tür erkannte hätte. Und so wie er es eigentlich ohnehin erwartet hatte, sei das für die neue Nachbarin auch weder ein Schock noch sonst wie etwas Besonderes gewesen.

Die Reisigwand

Eine Woche später habe die neue Nachbarin dann aber eine mannshohe Reisigwand an ihrem Balkongeländer montiert, erzählt mein bester Freund. Und zwar nur auf jener Seite, die zu seinem Balkon zeigt. Er möge, habe die neue Nachbarin beim Festknoten der Palisade gebeten, das bitte nicht persönlich nehmen.

Bloß: Der Sichtschutz bietet keinen Sichtschutz. Zusammengerollt dürfte das Bündel vielleicht so ausgesehen haben – aber am Balkon befestigt war es dann etwa halb so blickdicht wie ein Fliegengitter. Als er das erste Mal am Balkon abhing und seine neue Nachbarin sich in ihren Liegestuhl setzte, habe sie daher zwei Ikea-Gartenklappsessel zusammengeklappt und so an den Sichtschutz gelehnt, dass die Holzflächen zwischen ihrem Oberkörper und meinem besten Freund standen. Dann, sagt mein bester Freund habe sich die neue Nachbarin hingelegt und ihr T-Shirt ausgezogen.

Wegschauen

Er habe, beteuert mein bester Freund, wirklich nicht bewusst hingeschaut. Aber den Kopf absichtlich nicht in die Richtung der durchsichtigen Palisade zu drehen, wäre ihm auch zu blöd. Außerdem wäre das beim Getränkeholengehen, Plaudern oder anderen Halbaktivitäten auch geradezu mit Anstrengung und Überlegung verbunden. Und so, erzählt mein bester Freund, habe er mitbekommen, dass seine neue Nachbarin jedes Mal wenn er sich zu bewegen begann, am Klappsessel-Zusatzparavent herumrückte.

Nach ein paar Tagen, erzählt mein bester Freund, habe er dann bemerkt, das sie solange er daheim war, nur mit Oberteil auf dem Balkon lag – und sobald er die Wohnungstür zusperrte, wohl auf Oben Ohne umrüstete. Bemerkt habe er das, als durch den Zaun sah, wie seine Nachbarin sobald er Heim kam und seine Balkontür öffnete, schnell nach ihrem Bikinioberteil fischte. Und dann die Sessel zurecht schob.

Privatsache

Das alles, sagt mein bester Freund, sei ihm eigentlich egal gewesen: Ob und wie sich jemand vor anderen nackt zeigt, sei schließlich Privatsache. Und ob seine neue Nachbarin schüchtern sei, eine konservative Erziehung noch nicht abgelegt hätte oder sich aus irgendwelchen Gründen für ihren Körper schäme, wisse er schließlich nicht. Es gehe, betont mein bester Freund, ihn auch nichts an.

Genau deshalb hat ihn aber der Anblick der jungen Frau heute im Freibad so verstört: Ein knapper String und ein Tattoo auf der Schulter war alles, was sie trug. Und zwar völlig selbstverständlich und selbstbewusst. Nicht nur, wenn sie mit ihren beiden Freundinnen in der Sonne lag, sondern auch wenn sie mit mehr oder weniger Bekannten – etwa meinem besten Freund und mir – scherzte, zum Buffet ging oder am Pool abhing.

Seither ist mein bester Freund verwirrt. Und bittet darum, dass ihm jemand dieses Verhalten erklärt. Ich habe gesagt, ich sei nicht zuständig. Und ihm nur geraten, seine neue Nachbarin nicht darauf anzusprechen. Sie würde das wohl persönlich nehmen.