
George Soros: "Die Fehler der Bush-Regierung sind bald offensichtlich geworden, beginnend mit der Invasion von Irak. Es hat eine Zeit gebraucht, bis das ins Bewusstsein gedrungen ist."
STANDARD: Auch langfristig?
Soros: Nun, ich bin Keynesianer, ich mache keine Aussagen über das Langfristige.
STANDARD: Langfristig sind wir alle tot, hat Keynes gesagt.
Soros: Genau. Kurzfristig jedenfalls haben die USA gerade einen starken Staat geschaffen. Das Land wurde von einer Gruppe Radikaler oder Extremisten in Beschlag genommen. Die haben zuerst die Republikanische Partei gekapert und damit die Basis der amerikanischen Demokratie ausgehöhlt. Denn die beruht auf zwei Parteien, die sich um die Mitte bemühen.
Jetzt aber haben wir eine Gruppe von Leuten, die sich nicht um die Mitte bemühen, und die Demokraten rennen ihnen seither hinterher und finden die Mitte nicht mehr. Währenddessen haben die Extremisten den Kongress erobert und die Präsidentschaft, und jetzt sind sie dabei, die Jurisdiktion zu erobern, womit sie die Gewaltenteilung zerstören, die das Fundament der amerikanischen Verfassung ausmachen. Zudem gefährden sie Amerika als offene Gesellschaft, weil sie den essenziellen kritischen Prozess unterjochen und verzerren. Das alles ist nicht Chaos, sondern bedeutet den autoritären starken Staat.
STANDARD: In Ihrem kürzlich erschienenen Buch bezeichnen Sie zumindest die militärische und wirtschaftliche Vorherrschaft als eine Seifenblase.
Soros: Das hat damit zu tun, dass eine falsche Ideologie sich der Welt nur durch Gewalt aufzwingen kann. Man kann ihre Falschheit eine Zeitlang verbergen, aber schließlich geraten die Fehler, die Verzerrungen mit der Wirklichkeit in Konflikt, und das Regime fällt. Das kann sehr schnell geschehen. Die Fehler der Bush-Regierung sind bald offensichtlich geworden, beginnend mit der Invasion von Irak. Es hat eine Zeit gebraucht, bis das ins Bewusstsein gedrungen ist.
STANDARD: Ist es das jetzt?
Soros: Ich denke ja. Obwohl, eigentlich nicht so sehr, weil immer noch behauptet wird, dass die Wahlen dort ein großer Erfolg waren. Doch alles, was Bush in seiner bisherigen zweiten Amtszeit probiert hat, ist im Grunde schief gelaufen. Seine Beliebtheit ist im Sinkflug. Darum denke ich, dass die Blase wirklich platzt.
Soros: Das kann natürlich sein. Ich mag auch die Machthebel unterschätzen, die sie (die Extremisten der Bush-Regierung) etabliert haben, was bedeuten würde, dass sich die öffentliche Meinung nicht im Wahlverhalten ausdrückt. Doch ich bin zuversichtlich, dass es zu einer Änderung kommen wird.
Meine Sorge ist eher, dass wir aus den Fehlern der Bush-Regierung nicht genug gelernt haben. Der größte Fehler ist ja der "Krieg gegen den Terror" als Konzept. Das ist bisher nicht in Frage gestellt worden. Wer es dennoch tut, wird als unpatriotisch gebrandmarkt, darum lohnt sich das für keinen Politiker, selbst wenn er privat seine Zweifel hat.
Hier hat sich Amerika von seinen Traditionen verabschiedet. Die Bewohner des Landes fühlen sich in ihrer Existenz bedroht und in allem gerechtfertigt, was angeblich zu ihrem Schutz geschieht. Das bedeutet, dass die Standards verlassen werden, die Amerika ausgezeichnet haben.
STANDARD: A propos Machthebel: Sie waren einmal ein Weggefährte von Paul Wolfowitz. Verstehen Sie, was ihn heute antreibt?
Soros: Ich denke, Wolfowitz ist eher ein Intellektueller als die meisten Neo-Cons. In der Tiefe seines Herzens weiß er, dass die Invasion des Irak ein großer Fehler war. Ich glaube, er will das wieder gutmachen, indem er in der Weltbank gute Arbeit macht.
STANDARD: Sehen Sie größere Probleme voraus, was die EU anbelangt?
Soros: Ich glaube, dass Europa in einer sehr ernsten Krise steckt. Die Schöpfung der Union war eine Leistung des social engineering, sehr im Geiste der „offenen Gesellschaft“ nach Popper, mit Versuch und Irrtum, wo jeder Schritt nach vorne weitere Probleme bringt. Diese Schritte führten zu EU. Jetzt ist sie gestolpert. Die Vergrößerung bedeutete mehr Delegation der Souveränität, und das führte zu Niederlagen bei Verfassungs-Abstimmungen.
Europa ist in einem Zustand dynamischen Ungleichgewichts, und wenn es sich nicht nach vorne bewegt, dann wird es rückwärts gehen. Ich denke, das passiert bereits bei den Budget-Diskussionen – obwohl es solche Diskussionen immer gibt. Sie allein sind noch nicht gewichtig, doch sie sind Vorboten zukünftiger Uneinigkeit. Das vor allem, weil es keine Einigkeit über die Bedeutung und die Wichtigkeit der Union gibt. Sie wird sich solange rückwärts entwickeln, bis die Menschen merken, was sie verlieren und sich zusammentun, um ein neues Engagement zu entwickeln. Das wird aber nur das Resultat einer sehr tief greifenden Krise sein.
STANDARD: Auch Ihre Kritiker halten Ihnen zugute, dass Sie "das große Ganze" immer
im Auge haben und früh bestimmte Entwicklungen erkennen. Was sagt Ihnen Ihr persönliches
Frühwarnsystem über das ganz große Bild, das auch Asien, speziell China einschließt? Soros: Ich denke, dass Globalisierung nicht irreversibel ist. Es gab sie schon vor
dem Ersten Weltkrieg und wurde durch ihn beendet, danach wieder, unter Ausschluss
großer Gebiete wie der Sowjetunion. Jetzt ist sie sehr weit reichend. Doch sie kann
zusammenbrechen. Das ist keine Vorhersage, aber mehr als eine Möglichkeit – wieder
mit der Einschränkung, dass, wenn der Zusammenbruch sich wirklich abzeichnet, es
Bemühungen geben wird, die Dinge zusammen zu halten. Dass es also eine Änderung in
den Einstellungen geben wird. So wie es übrigens mit den Finanzmärkten passiert: Man ist oft am Rande eines Zusammenbruchs, aber nur selten tritt er wirklich ein.
Ich würde aber noch weiter gehen. Wir haben einige globale Probleme, die mit der
Globalisierung nur wenig zu tun haben. Ich meine die globale Erwärmung. Ich habe
mich in der letzten Zeit etwas genauer mit dem Thema beschäftigt, und es ist offenbar
ein sehr reales Problem. Die wissenschaftliche Meinung ist einstimmig, Uneinigkeit
besteht nur im Zeitverlauf. Es ist ein Prozess, der weiter gehen wird, auch
nachdem wir Gegenmaßnahmen ergriffen haben werden. Die Zeit läuft uns also davon.
Es kündigt sich ein Umwelt-Gegenstück zur Weltwirtschaftskrise an. Und die Bush-Administration
verleugnet das Problem vollständig.
STANDARD: Sie müssen ja gewusst haben, dass Sie mit Ihrer Unterstützung der Demokraten
nur ein Bruchteil dessen erreichen konnten, was die Republikaner an Geldern bekommen haben.
Sind Sie entmutigt? Soros: Es gibt für mich zwei Konsequenzen: Erstens, es gibt jetzt sehr viel mehr
Menschen, die die Bush-Regierung so wie ich wahrnehmen und bereit sind, eine Gegenkraft
zu unterstützen.
STANDARD: Würden Sie diese Kraft weiter unterstützen? Soros: Oh ja! (Der Organisator der Demokratischen Partei) Rob Stein hat dafür eine
Gruppe zusammengestellt. Aber, zweitens, was mich angelangt, habe ich die Frage gestellt:
Was ist unser Problem? What’s wrong with us, with American society? Ich denke, da
gibt es ein grundsätzliches Problem. Ich habe ursprünglich Bush für alles die
Schuld gegeben, aber immerhin haben 52 Prozent der Menschen für ihn gewählt. Wie
war das möglich? Soros: Genau. Ich bin zuversichtlich, dass die Demokraten ein Comeback feiern werden.
Doch ich bin weniger zuversichtlich, dass sie die gemachten Fehler korrigieren und
Amerika auf einen weniger gefährlichen Kurs bringen können. Das ist meine wirkliche
Sorge. STANDARD: Wenn Sie sagen, dass man Demokratie und Freiheit nur durch die Stärkung
internationaler Institutionen unterstützen kann, dann lautet der neo-konservative
Einwand, dass man dort die amerikanischen Interessen nicht optimal vertreten kann,
überstimmt wird usw. Was sagen Sie zu der Kritik? Soros: Sie haben Recht. Der Rest der Welt steht wirklich im Gegensatz zu Amerika.
Ich bin schockiert von dem Ausmaß an Misstrauen und Opposition, in der öffentlichen
Meinung, aber auch in vielen Regierungen. Das bedeutet, dass die internationale Gemeinschaft sich zum Großteil aufgelöst hat.
Das ist wirklich der Zusammenbruch des Westens. Das hat ernsthafte Folgen. Nehmen
Sie ein Beispiel: Karimow hat in Usbekistan ein Massaker veranstaltet. Was ist passiert? STANDARD: Nichts. Soros: Nichts. Beispiele dieser Art gibt es heute in Vielzahl. Die Weltordnung hat
praktisch aufgehört zu existieren. Und das ist die Verantwortung der Vereinigten
Staaten. Denn als Weltmacht bestimmen sie die Agenda, und der Rest der Welt folgt.
Nun ist aber Amerika eine nationalistische Supermacht geworden – und der Rest der
Welt passt sich dem an. Die Chinesen werden nationalistischer und militaristischer,
die Japaner ebenso, die Russen, sogar die Türkei, als Resultat der Zurückweisung
durch die EU. Das verheißt nichts Gutes für die Welt. STANDARD: Wenn Sie das für Popper wichtige Konzept der Selbstkritik anwenden: Was
würden Sie an Ihren Aktivitäten der letzten Jahre kritisieren? Soros: Ich habe sicher einige taktische Fehler gemacht. Ich habe meinen Feinden in
Amerika die Gelegenheit gegeben, mich als Extremisten darzustellen. Und ich habe
mich in eine schwierige Position begeben, indem ich zu viele Anliegen zu den meinen
gemacht habe. Ich habe mich übernommen. Wissen Sie, ein Privatmensch, der sowohl
Bush wie Putin zu seinen Feinden zählt – das lässt für den Ausgang meiner Kampagnen
nichts Gutes erwarten.
Aber wenn es um Prinzipien geht, dann muss man eine Position beziehen. Nicht weil man
glaubt, dass man gewinnt. Sondern weil man das Gefühl hat, dass etwas getan werden
muss. Das ist der große Unterschied zwischen einer Existenz als Finanzspekulant,
der nur auf Gewinn aus ist, und einem Engagement aus Prinzip. STANDARD: Sie engagieren sich nach wie vor für eine Reform der Drogengesetzgebung
in den USA. Soros: Ja, wenn auch nicht mehr in Form einer eigenen Stiftung. Ich unterstütze bestehende Institutionen. Im übrigen ist der amerikanische „Krieg gegen Drogen“ genauso fehlgeleitet wie der Krieg gegen Terror. Die führende Weltmacht kann so einen Krieg nicht zum Zentrum seiner Politik machen. Man muss sich gegen Terroristen verteidigen, aber das kann
nur eine von vielen Aufgaben sein. Durch diesen permanenten Krieg schafft man viele
Opfer, die zu Tätern werden. So schafft man mehr Terroristen, als man tötet. Das
ist kontraproduktiv.
Und man gibt die Werte auf, für die man einst gestanden ist. Es gibt eine Militärbasis
in Usbekistan, in der Spezialtruppen zur Terrorbekämpfung ausgebildet werden. Und
diese nutzen ihr Training, um unschuldige Zivilisten zu massakrieren. Ist man dafür
nicht verantwortlich? Und erhöht das die Sicherheit der USA in der Welt? STANDARD: Und ihr Ansehen? Soros: Eben. Weder noch. Das ist fürchterlich, und es ist nur eines von vielen Beispielen,
wie falsch dieser Zugang ist. STANDARD: Sie haben einmal gesagt, dass Sie möchten, dass Ihre Ideen gehört werden.
Das werden sie natürlich schon allein deswegen, weil Ihr Name Gewicht hat. Welche
Kriterien zählen darüber hinaus für Sie? Soros: Ich frage mich vor allem, ob ich verstanden werde. Ich praktiziere ja die
Poppersche Idee der Fehlbarkeit, das heißt ich gehe vor wie die Europäische Union:
Ich mache einen Schritt vorwärts, dann merke ich, dass das vielleicht ein Fehler
war und so weiter. Meine Sorge ist, dass ich der Plattform gerecht werde, die ich
selber geschaffen habe. (Gekürzte Version des Interviews in: DER STANDARD, Printausgabe, 21.6.2005)