1944 besetzten die Deutschen Ungarn. Bis dahin waren die Juden im Land relativ unbehelligt geblieben, doch die Zeichen mehrten sich, dass sich das ändern würde. Einer der Ersten, die das sahen und schnell reagierten, war Tivadar Soros. Der Budapester Anwalt besorgte seiner Familie und auch anderen Bedrohten falsche Papiere und sicherte so ihr Überleben. "Mein Vater hatte früh erkannt", erinnert sich George Soros, "dass die Ereignisse weit aus dem Gleichgewicht waren. Wer dann noch immer so tut, als sei alles normal, der ist dem Tod geweiht."

Für den damals gerade 14-jährigen Sohn war das eine Lehre, die er nicht mehr vergessen sollte. Seinem Instinkt für "Situationen am Rande des Chaos" dankt er noch heute den Aufstieg zu einem der großen Financiers und Börsenspekulanten der Welt. So ist etwa sein bekanntester Finanzcoup - die Spekulation gegen das britische Pfund im September 1992, mit der er um eine Milliarde Dollar reicher wurde - laut seiner Darstellung in Soros on Soros "von einer Bemerkung des (damaligen) deutschen Finanzministers über die Lira" ausgelöst worden.

Parallel zu den Fondsgeschäften begann seine Karriere als Förderer gesellschaftspolitischer Aktivitäten. Denn die zweite Lehre, von der George Soros zehrt und profitiert, ist das Gedankengebäude des Philosophen Karl Popper, unter dem der 1947 (übrigens wieder mit gefälschten Papieren des Vaters) aus dem kommunistischen Ungarn Geflüchtete an der London School of Economics studierte. Was "Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde" bedeuteten, darauf konnte der noch nicht Großjährige sich bereits einen Reim machen. Und der Idee, dass eine Gesellschaft sich nur durch Diskussion und dem Eingeständnis ihrer Fehlbarkeit weiterentwickeln kann, diesem Grundzug des Popper'schen Verständnisses von Liberalismus, setzte Soros ein Namensdenkmal: Sein "Open Society Institute" mit Sitz in New York, wo er seit 1956 lebt, hat seit Anfang der Achtziger mehr als fünf Milliarden Dollar an Unterstützung bereitgestellt, überwiegend in Osteuropa und dort vor allem für Bildungsprojekte aller Art.

Dass dies nach der Liberalisierung in den späten Achtzigern auch Unterstützung für einen Kurswechsel in der Ukraine oder für Bürgerrechtsorganisationen in Putins Russland beinhaltete, brachte ihm neben Anerkennung auch heftige Kritik ein - eine Ablehnung, die der in konservativen Kreisen der USA ähnelt. Dort unterstützt Soros ebenfalls seit Jahren liberale Anliegen, von der Entkriminalisierung weicher Drogen über die Eindämmung von Waffengewalt bis zu besserer Pflege von Alten und Sterbenden. Entsprechend lauten die Vorwürfe seiner Gegner: Von Drogenbaronen finanziert! Freund der Kriminellen! Euthanasiebefürworter!

Relativ wenig Geld Doch diese öffentlich geäußerten Verleumdungen verblassen angesichts der xenophoben bis antisemitischen Reaktionen auf Soros' massives Eingreifen gegen die Wiederwahl von George W. Bush. Geschätzte 18 Millionen Dollar sind entsprechenden Initiativen zugute gekommen, und er hätte ohne Aufhebens 75 oder mehr Millionen daraus gemacht, wenn er gewusst hätte, was die nötige Summe gewesen wäre. Es hat nichts genutzt.

Es war zwar nicht viel im Vergleich zu seinem auf zwölf Milliarden geschätzten Privatvermögen. Es war aber auch nicht viel verglichen mit den Summen, die konservative Republikaner seit Jahrzehnten in einen fundamentalen Kurswechsel der USA investieren - allein laut veröffentlichten Steuererklärungen sind da bisher an die drei Milliarden Dollar zusammengekommen.

Das mag Soros noch wütender machen, als er laut eigenem Bekunden schon vor dem Wahltag im vergangenen November war. Die Besorgnis über den Zustand seiner Wahlheimat kanalisiert er in ein noch stärkeres Engagement auf liberaler Seite (siehe Interview).

Vieles davon bleibt relativ unbemerkt, spielt sich in Sitzungen ab, wo Demokraten wie Rob Stein in der ungewohnten Gesellschaft von Milliardären über alternative Szenarien nachdenken. Doch gelegentlich tritt Soros auch an die Öffentlichkeit und legt seine Vision von "Amerikas Rolle in der Welt" dar - so der Titel der Jan-Patocka-Gedächtnisvorlesung, die er gestern, Montag, Abend auf Einladung des Wiener Instituts für die Wissenschaft von Menschen (IWM) gehalten hat.

Er wird sich damit weiterhin nicht nur Freunde machen. "Aber", sagt er, "da geht es nicht ums Geld. Da geht es ums Prinzip." (DER STANDARD, Printausgabe, mf, 21.6.2005)