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Foto: APA/AP/Strattman
Wien - Für Willy Matzke (55) war der lustige Sechser-GP der USA mit Zielflagge und Siegerehrung unter wüstem Pfeifkonzert in Indianapolis natürlich nicht erledigt. Vielmehr klemmte sich der Verkehrschef des ÖAMTC hinters Telefon, um der Reifenmisere von Michelin und dem damit verbundenen Startverzicht der von den Franzosen ausgerüsteten Teams auf den Grund zu gehen. Als anerkannter Experte - Matzke beschäftigt sich als Tester seit 35 Jahren mit dem Thema Reifen und ist selbst Rundstreckenrennen und Rallyes gefahren - hatte er es gewissermaßen leicht, an den richtigen Rädern zu drehen. "Ich gehe bei den Reifenherstellern, wenn auch nicht immer physisch, ein und aus."

Grundsätzlich, und das gelte genauso für normale Pkws, seien drei Komponenten entscheidend: der Belag, die Reifen und das Fahrwerk. "Wird jetzt an einem dieser Dinge isoliert gedreht, wird das Optimum verlassen", sagt Matzke. In Indianapolis dürfte der Belag zu den Problemen von Michelin geführt haben. "Der ist relativ neu, gab zu wenig Grip her, weshalb nachträglich Rillen hineingefräst wurden. Die Michelin-Reifen wurden aber für einen Belag ohne Rillen konstruiert." Die Rillen führten demnach in der Hochgeschwindigkeitspassage zu höheren Reifentemperaturen. "Weil ein Reifen ein thermisch hergestelltes Ding ist, kann er sich bei zu hohen Temperaturen auflösen", so Matzke. Bei Toyota sei zudem noch mit Unterdruck gearbeitet worden. Der Unfall von Toyota-Pilot Ralf Schumacher im Training hat die Reifendiskussion ja erst ausgelöst. "Das Problem mit dem Unterdruck bzw. Überdruck ist ja auch bei Normalverbrauchern bemerkbar, nur sind Formel-1-Reifen viel sensibler, sie haben gewissermaßen eine dünnere Haut, im Vergleich zu Pkw-Reifen wie ein Luftballon."

Von der Zusammensetzung her unterscheiden sich F1-Rennreifen und normale Pkw-Reifen laut Matzke gar nicht so sehr. "Sie bestehen aus Naturkautschuk, künstlichen Polymeren und 30 bis 50 chemischen Bestandteilen." Anders als Rennreifen wird aber bei normalen Pkw-Reifen eine Sicherheitsreserve eingeplant. Im Rennsport existiere diese Reserve nicht, die "werden thermooptimiert, also mit 120 Grad oder etwas mehr gefahren. Kommt man drüber, fliegt der Reifen davon. Darunter rutscht man."

Die Frage, warum Bridgestone, der Ausrüster der sechs gestarteten Boliden, keine Probleme gehabt hat, stellt sich für Matzke so nicht: "Wer weiß, wie die Bridgestone reagiert hätten, wenn etwa Ferrari über die volle Renndistanz Vollgas geben hätte müssen." Bridgestone ist zudem über die Marke Firestone im US-Rennsport ständig präsent und folglich wohl auch über Testdaten aus Indianapolis versorgt. Michelin hatte solche Testmöglichkeiten nicht. Dass die Franzosen vorgeben, den Fehler bis dato selbst noch nicht gefunden zu haben, versteht Matzke übrigens: "Die warten jetzt einmal ab, was da noch juristisch nachkommt."

Ein dauerhafter Imageschaden für Michelin wäre für den Experten des ÖAMTC nicht gerechtfertigt. "Mir ist kein Fall bekannt, in dem einem Normalverbraucher ein Michelin um die Ohren geflogen wäre. Bei anderen Firmen hat es das schon gegeben." Aufsehen erregten etwa gehäufte Unfälle durch Reifenschäden an Ford-Geländewagen in den USA, die von Firestone erstausgestattet waren. "Dabei waren die Reifen nicht schlecht. Es hat sich aber herausgestellt, dass Unterdruck zu den Schäden geführt hat", so Matzke. In den USA muss im Gegensatz zu Europa an den Tankstellen für Druckluft bezahlt werden. Und es wurde konsequent am falschen Ende gespart. (Sigi Lützow; DER STANDARD Printausgabe 21. Juni 2005)