Preisfrage: Mit welchem Programm endete das "Musikfest" der diesjährigen Wiener Festwochen: Mit einem Konzert der Wiener Philharmoniker unter Seiji Ozawa im Musikverein, in dessen Verlauf Krzysztof Pendereckis Largo mit Mstislaw Rostropowitsch als Solisten zur Uraufführung gelangte, oder im Konzerthaus, wo das Violinkonzert von Brahms nebst Mendelssohn-Bartholdys Musik zu William Shakespeares Sommernachtstraum zu hören war?

Zur Beantwortung dieser Frage ist fürwahr kein hoher IQ nötig, um nicht prompt auf den Musikvereins zu tippen. Die genauere Kenntnis des programmatischen Intimlebens der Festwochen macht die Höhe des IQ allerdings zur Nebensache: Denn entgegen allen Vermutungen klang das heurige festwöchliche Musikfest im Wiener Konzerthaus aus.

Was nicht heißt, dass das unter dem Slogan "Musikfest" firmierende Angebot des Konzerthauses insgesamt weniger attraktiv gewesen wäre als der frühsommerliche Konzertalltag des Musikvereins. Evident wird nur die Schwierigkeit, in einer Stadt wie Wien, in der Festivals wie Wien modern, Resonanzen, Frühlingsfestival, Osterklang faktisch ineinander übergehen, zur Festwochenzeit auch noch ein übrigens seinerseits auch wieder in den Klangbogen mündendes, inhaltlich auffälliges Musikfestival zu veranstalten.

Festwochenrente

So hat man sich an den bestenfalls als liebenswerte kulturpolitische Folklore zu nennenden Brauch gewöhnt, dem zufolge in einem Jahr der Musikverein, im anderen das Konzerthaus von der Leitung der Wiener Festwochen für die Ausrichtung dieses "Musikfests" eine Art von Rente (heuer 436.037 €) beziehen.

Im Grunde ist es für das Publikum und den professionellen Beobachter egal, ob der Euro-Regen nun über den Musikverein oder über das Konzerthaus niedergeht. Denn beide machen sowieso nichts anderes wie das ganze Jahr über, nämlich Konzerte mit Spitzeninterpreten. Mit und ohne Festwochenrente.

Die einzige Rechtfertigung dieser skurrilen Situation, liegt im Umstand, dass seit der im Jahr 1950 erfolgten Gründung der Wiener Festwochen alle zuständigen Politiker seelenruhig zusahen, wie dieses Festival ohne eigenes Veranstaltungsareal, über dessen Nutzung es autonom verfügen kann, für jeden Programmpunkt auf Herbergsuche gehen muss.

Das Geld, das in den vergangenen 55 Jahren für Mieten, Ablösen und aufwändigen Adaptierungskosten verbraucht wurde, hätte mühelos für den Bau eigener Veranstaltungs-und Probenräume oder für den Erwerb eines schon bestehenden gereicht.

Belebt wurde der eingefrorene Status quo der Festwochen-Dramaturgie durch die Installierung eines Musikdirektors. In dieser Funktion hat Hans Landesmann tatsächlich - freilich außerhalb der routinemäßig abschnurrenden Musikfeste - einige erkennbare Marken gesetzt. Etwa mit den Zeitzonen, mit denen Markus Hinterhäuser in Wien fortsetzte, was er - ebenfalls in Landesmanns Ägide - in Salzburg gemeinsam mit Thomas Zierhofer-Kin mit dem Zeitfluss erfolgreich begonnen hatte.

Impulse

Auf Landesmanns Initiative ging immerhin auch eine Präsentation der ungarischen Komponisten Peter Eötvös, György Kurtág und von Vater und Sohn Ligeti im Theater an der Wien im Jahr 2002 oder auch das Anton-Webern-Fest im Vorjahr zurück. Auch die Präsentation wichtiger Opernproduktionen österreichischer Länderbühnen war einer seiner wichtigen dramaturgischen Interventionen in den Musikbereich der Wiener Festwochen.

Weist man nun auf das Fehlen von derlei belebenden Impulsen im diesjährigen Musikprogramm der Wiener Festwochen hin, stößt man in erster Linie auf rhetorische Entlastungen von deren neuen Musikchef, Stéphane Lissner, der an allem, was heuer diesbezüglich nicht passierte, noch keine Schuld hat.

Und die für Wien etwas provinziell wirkenden Hinweise von kulturpolitischer Seite, mit ihm als Intendanten der Festivals in Aix-en-Provence und Kointendanten des Théâtre de Bouffes du Nord in Paris eine Persönlichkeit mit internationalen Kontakten gefunden zu haben, tönen nach seiner unlängst erfolgten Bestellung zum Chef der Mailänder Scala noch lauter.

Fast hat es den Anschein, als handle es sich bei Wien um einen im höchsten Maß der Missionierung und Kolonisierung bedürftigen weißen Fleck auf der Weltkarte der Musik und nicht um eine Stadt, die, wenn überhaupt in einem Bereich der Kunst, dann als Musikstadt international unumstrittene Gültigkeit besitzt.

Verschubbahnhof

Wien während der Festwochen auch als solche zu featuren, gelingt weniger durch eine Umfunktionierung dieser Stadt zum musiktheatralischen Verschubbahnhof für einmal mehr (Hercules) und einmal weniger (Julie) belangvolle Opernproduktionen zwischen Brüssel, Aix-en-Provence und Paris, sondern vor allem auch durch die Kenntnis des heimischen Potenzials - sowohl der autochthonen als auch jenes der immer wichtiger werdenden multikulturellen Szene. Und diese erwirbt man sich nicht durch sporadische Hinweise seitens einiger Satrapen, sondern nur vor allem durch persönliche Anwesenheit und Ansprechbarkeit.

Als auf spektakuläre Weise beredtes Beispiel für die Entfremdung der Festwochen von der österreichischen Musikszene mag der Umstand gelten, dass ein so urösterreichisches Werk wie Heinz-Karl Grubers Oper Der Herr Nordwind , basierend auf einem Text von H. C. Artmann, heuer just zur Festwochenzeit nicht in Wien, sondern an der Oper in Zürich zur Uraufführung kam. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.6.2005)