Stuttgart - Neun der in Italien wegen ihrer Beteiligung an einem Massaker im Zweiten Weltkrieg in Abwesenheit verurteilten ehemaligen SS-Soldaten könnten bald in Deutschland vor Gericht kommen. Die Ermittlungen gegen die Männer seien "relativ weit" fortgeschritten, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Stuttgart am Donnerstag auf Anfrage. Zu einem möglichen Termin für den Abschluss der Ermittlungen oder den Prozessbeginn wollte sich der Sprecher allerdings nicht äußern. Wegen des hohen Alters der Beschuldigten gebe es zu viele Unwägbarkeiten vor allem in der Frage der Verhandlungsfähigkeit. Die Männer sind zwischen 81 und 86 Jahre alt.

Das Militärgericht im norditalienischen La Spezia hatte am Mittwoch zehn ehemalige SS-Männer in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt.

Neun dieser zehn Männer werden auch von den Stuttgarter Ermittlern beschuldigt; dazu kommen fünf weitere, die in dem italienischen Prozess nicht angeklagt waren. Nach Angaben des Sprechers der Staatsanwaltschaft ist für die deutschen Behörden das größte Problem, dass sie im Gegensatz zu den Italienern die individuelle Schuld der Männer bei dem Massaker feststellen müssen. Das Urteil von La Spezia werde für das deutsche Verfahren keine Auswirkungen haben.

Das Simon Wiesenthal Center forderte vor dem Hintergrund der Verurteilung unterdessen von den deutschen Ermittlern eine Intensivierung ihrer Bemühungen. "Das Urteil aus La Spezia zeigt, dass es nach wie vor möglich ist, NS-Verbrecher zu bestrafen", erklärte Efraim Zuroff, Leiter des Wiesenthal Centers in Jerusalem.

Ermöglicht wurden sowohl der italienische Prozess als auch die Stuttgarter Ermittlungen durch den spektakulären Fund von 695 Akten Mitte der 90er Jahre, die weiteren Einblick in die von Nationalsozialisten und Faschisten begangenen Gräueltaten boten. Die Akten lagen in einem Metallschrank im Keller des Palazzo Cesi, dem Militärtribunal in Rom. Das Möbelstück, das mit den Türen zur Wand stand, wurde anschließend "Schrank der Schande" genannt.

560 Zivilisten ermordet

Der heute 83-jährige SS-Kompanieführer Gerhard Sommer und neun Soldaten seiner Einheit sind an der Ermordung von 560 Zivilisten in dem kleinen Toskana-Dorf Sant'Anna di Stazzema schuldig. Am 12. August 1944 hatten vier SS-Kompanien auf dem Rückzug vor den Alliierten in Italien auf dem Marktplatz der Ortschaft ein Blutbad angerichtet.

Die zehn Angeklagten gehörten der 16. Panzergrenadierdivision "Reichsführer SS" an. Die Soldaten trieben Flüchtlinge und Einwohner Sant'Annas auf dem Markt vor der Kirche zusammen und erschossen sie; unter den Ermordeten waren auch 120 Kinder. Der deutsche Innenminister Otto Schily (SPD) hatte bei einem Besuch in Sant'Anna anlässlich einer Gedenkfeier für die Opfer im vergangenen Jahr von einem Tag der Scham für die Deutschen gesprochen. (APA)