"Blicke auf Carmen" im Joanneum in Graz: Charles Spindler, Zigeuner Nr.8, Alsace, 1890-1900
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Von Don José, dem Mann, der sie liebt, gefragt, ob sie der Teufel sei, antwortet Carmen: "Sicher, das habe ich dir doch schon gesagt." Was sie so teuflisch macht, ist genau das, was die Faszination dieser fiktiven Frauenfigur ausmacht, die - wenig überraschend - einer Männerfantasie entsprang: Sie symbolisiert das Fremde, Wilde, Geheimnisvolle, sie ist eine leidenschaftliche und freiheitsliebende Frau. Weder Heilige noch wirklich Hure, verkörpert sie ein stolzes "Bad Girl", wie man heute vielleicht sagen würde. Doch zur Emanze fehlt es der jungen Frau an Solidarität mit ihren Geschlechtsgenossinnen - eine verletzt sie sogar im Gesicht.

Geheimnisvoll und mit ein paar Ungereimtheiten gespickt ist auch die Biografie der Arbeiterin einer Zigarrenfabrik in Sevilla, die - so erzählt man ihre Geschichte auf den Opernbühnen der Welt zur Musik von Georges Bizet - eine so genannte "Zigeunerin" ist, die wegen einer Messerstecherei mit dem Gesetz in Konflikt kommt, bevor sie einen braven Soldaten rasend vor Liebe macht. Er ist es auch, der die Männerfantasie umbringt.

Die Geschichte hinter der oft gespielten Carmen ist eine andere. Carmen hat keine Mutter. Ihr "Vater" war der französische Autor Prosper Mérimée, der ihr 1845 das Leben schenkte und sie als Spanierin ausgab, um mit einem seinerzeit beliebten folkloristischen Spanien-Image bei der Leserschaft zu punkten. Wo sie ihre Kindheit verbrachte, ist weit gehend ungeklärt, und ihre Zeit als Werktätige ist geprägt von Liebesaffären sowie Konflikten mit Arbeitskolleginnen. Der Lebensabend der längst zum Mythos gewordenen Frau, die schon tausende Male durch die Klinge des rasenden Liebhabers sterben musste, zeichnet sich jedenfalls nach 160 Jahren noch immer nicht ab.

Die Dame, die nicht nur Bizet zu einer der meistgespieltesten Opern der Musikgeschichte inspirierte, sondern auch Claudio Coello, Edouard Manet, Pablo Picasso oder Gustave Courbet zur Muse wurde, ist derzeit in Graz zu Gast. Am Samstag tanzt und stirbt sie erstmals in der hoch technologischen Helmut-List-Halle. In der Inszenierung von Andrea Breth und unter der musikalischen Leitung von Nikolaus Harnoncourt eröffnet sie die diesjährige styriarte.

Den Sommer verbringt Carmen in den weitläufigen Zimmern des Landesmuseums Joanneum. Die von Verena Formanek und Dominique Lobstein kuratierte Schau Blicke auf Carmen zeigt Gemälde, Zeichnungen und Fotografien aus allen Lebensphasen der unzähmbaren Schönen. Die große Euphorie um Carmen im Paris des 19. Jahrhunderts wird eingefangen und hinterfragt, während Fotografien von damals lebenden Roma die eine oder andere "echte Carmen" dokumentieren, die als Projektionsfläche für exotische Kunstfiguren diente. (DER STANDARD, Print, 25.6.2005)