Als der Standard vor knapp einem Jahr bei einem Interview den Generalsekretär der Arabischen Liga und ägyptischen Exaußenminister Amr Moussa mit ersten Meldungen von blutigen Auseinandersetzungen zwischen sunnitischen und schiitischen Stämmen im Süden von Bagdad konfrontierte - niemand anderer schrieb damals darüber, uns lagen jedoch gesicherte Berichte vor -, reagierte dieser sehr emotional, beinahe ärgerlich. So etwas dürfe man nicht einmal in den Raum stellen, sagte Moussa, das sei bewusste Desinformation.

Dieses Wochenende warnte der ägyptische Außenminister Ahmed Abul Gheit, ein besonnener Mann, davor, dass, wenn die US-Truppen den Irak zu früh verließen, die Situation dort "zu einer bewaffneten Konfrontation unter unseren Brüdern explodieren könnte". Abul Gheit ist sogar, wie die US-Regierung und aus den gleichen Gründen, der Meinung (und sonst sind Kairo und Washington derzeit in nichts einer Meinung), dass die USA nicht einmal einen Zeitplan für den Abzug vorlegen dürften, weil das die Lage weiter anheizen würde.

Es gibt noch drastischere Einschätzungen: In manchen Teilen des Irak sei längst ein verdeckter Bürgerkrieg am Laufen, der sofort voll ausbrechen würde, wenn die US- Truppen abziehen. In diesem Kontext wird die überraschend pessimistische Ansage von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld - der Aufstand im Irak könne bis zu zwölf Jahre dauern - verständlicher. Es handelt sich eben beim "Aufstand" nicht nur um die Bekämpfung der fremden Truppen. Die beteiligten Gruppen, oder zumindest einige davon, haben auch politische Ziele, die über die Zeit der US-Anwesenheit hinausreichen, und ihr Kampf besteht nicht nur aus konzeptloser - wie es manche Beobachter interpretieren - Gewalt gegen alles und jeden.

Bei den sunnitischen Angriffen auf Schiiten an den Rändern des Sunnitengürtels um Bagdad war etwa sehr früh die Absicht einer konfessionellen Säuberung auszumachen, die durchaus auch militärische Gründe hatte. Niemand hat international auf diese Entwicklung reagiert. In der letzten Zeit mehren sich nun, wahrscheinlich wenig überraschend, die Berichte über systematische Morde an Sunniten, in die die schiitischen Badr-Milizen, aber auch reguläre schiitisch-dominierte irakische Truppen verwickelt sein sollen.

So sieht es am Boden aus, da gibt es nichts zu beschönigen - und es stimmt, dass, solange die verschiedenen Gruppen die US-Truppen bekämpfen, die innerirakischen Auseinandersetzungen auf einer zweiten, unteren Ebene laufen. Es kommt nun darauf an, ob die irakische Politik dieses erzwungene Niederhalten eines möglichen Bürgerkrieges für sich nützen kann. Es gibt gar keinen Zweifel, dass die Übergangsregierung von Premier Ibrahim al-Jafari dies redlich versucht.

Allerdings ist für seine Äußerungen - zuletzt bei der Irak-Konferenz in Brüssel und bei seinem Besuch in Washington - typisch, dass er gerne dem in der Region gefrönten Usus nachgibt, die Probleme außerhalb des eigenen Landes zu suchen, im Notfall sogar bei den bösen Medien, die alles übertreiben. Allerdings ist auch er ganz stark für ein Verbleiben der US-Truppen im Irak: Denn er weiß natürlich genau, was los ist.

Die Verfassungsgebung ist das große politische Projekt des Sommers, und die Parteien sind zum Erfolg gezwungen: Im Moment zeigen sie sich eher überzeugt, dass es einen Text geben wird. Grund zur großen Erleichterung und Erwartung, dass er zum Abschwellen der Gewalt beiträgt, ist das aber nur bedingt, denn es wird diese Verfassung wohl nur geben, weil in ihr die großen Brocken - wie die Grenzen des kurdischen Gebiets und die Kirkuk-Frage - offen gehalten werden.

Wobei wir bei der nächsten Bruchlinie wären, der kurdisch-arabischen. Und die ganz pessimistischen Beobachter sagen, dass die USA erst aus dem Irak abziehen werden können, wenn sie die Teilung des Landes abgewickelt haben. (DER STANDARD, Printausgabe, 28.06.2005)