Der großartige New Yorker Pop-Tragöde Antony gastiert mit seiner Band The Johnsons am 8. Juli beim heurigen Jazz Fest Wien im Arkadenhof des Wiener Rathauses.

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Mit dem Konzert des 35-jährigen New Yorker Pop-Tragöden Antony wird das am Dienstag startende Jazz Fest Wien am 8. Juli zweifellos seinen diesjährigen Höhepunkt erreichen. Im Gespräch mit dem Standard erklärt Antony jene tiefe Kraft, die aus den Tränen kommt.


Wien - Pop ist immer nur so wahr wie jene Emotionen, die er beim Hörer auszulösen vermag. Dazu muss man allerdings von der heute möglicherweise etwas unzynischen These ausgehen, das es sich bei Pop nicht bloß um irgendeine weitere Facette des Konsum- und Freizeitverhaltens handelt. In der bejahenden Identifikation mit Pop geht es vor allem auch um "Wissen" - und um den Anspruch hier vermittelter existenzieller Wahrheiten.

Kritische Distanz oder teilnehmende Beobachtung gegenüber unreflektierter Nähe? Geschenkt! Wer bei Kraftwerk an Elektrizitätsgewinnung und nicht an das Herz erweiternde Musik denkt, der wird für dieses Thema ohnehin nie zu gewinnen sein.

Insofern handelt es sich beim zweiten, Anfang dieses Jahres erschienenen Album I Am A Bird Now des großen, New Yorker Tragöden Antony um eine der zwingendsten Einladungen seit Langem, mit seinem Gefühlshaushalt bezüglich Musik verschwenderisch umzugehen.

Antony ist ein androgyner, wunderbar und kraftvoll und deshalb trotz aller Selbstunsicherheiten immer auch bestimmt und mit Nachdruck tremolierender und falsettierender Sänger mit einem im Körper eines Footballspielers gefangenen Zauberwesen zwischen Mann und Frau. Und er verhandelt am Klavier mit seiner kleinen, streicherlastigen Begleitband The Johnsons in seinen anrührenden und schmerzensreichen Balladen eine bessere Welt. Die kündet eben auch davon, dass Körper und Geschlecht sich trotz aller strikten Regulative gerade deshalb nicht an gesellschaftliche Bedingungen anpassen müssen. Der 35-Jährige im Interview mit dem STANDARD:

"Natürlich lege ich es nicht explizit darauf an, meine Hörer zu Tränen zu rühren. Ein bisschen stolz macht es mich aber schon, wenn das Publikum seine Reserviertheit aufgibt und in meiner Musik zerfließt. Schließlich will ich ja niemanden nach unten ziehen, sondern eine erlösende Wirkung erzielen. Ich hoffe immer, dass die Leute aus meinen Konzerten Kraft beziehen und mit aufrechtem Haupt nach Hause gehen. Ich finde es sehr interessant zu sehen, wie meine ja doch emotional erheblich aufgeladenen Songs auf andere Leute wirken - und wie sie sie verändern."

Seelenerforschung "One day I will grow up, I will be a beautiful woman. One day I will grow up, I will be a beautiful girl. But for today I am a child, but today I am a boy." Songs wie For Today I Am A Boy, das am Ende in ein seliges : "One day I'll feel the power in me!" mündet, definieren dabei neben programmatischen Stücken wie Hope There's Someone oder Fistfull Of Love eine künstlerische Vision, die sich einer heute völlig unzeitgemäßen stilistischen Form verschrieben hat.

Zwischen pathetischen Anklängen an Soundtrack-Komponist Angelo Badalamenti (Twin Peaks) oder den kitschigen Schmelz von Aphrodite's Child mit dem griechischen Schlagergott Demis Roussos und der bis auf das Wesentliche reduzierten Seelenerforschung seiner großen Heldinnen Billie Holiday und Nina Simone ("Sie zerreißen mir immer wieder das Herz!") geht es hier um eine Neudeutung von Gospel. Gospel als jener ursprünglich afroamerikanische Musikstil, der von Befreiung im spirituellen wie immer auch realen Sinn handelt.

Nach seinem 1998 eingespielten, namenlosen Debüt wurde Antony einer breiteren Öffentlichkeit erst 2003 bekannt. Damals gastierte er auf Lou Reeds Album The Raven mit einer erschütternden Neudeutung von dessen Perfect Day und gastierte anschließend mit ihm auch im Wiener Konzerthaus. Neben Antonys großem schwulem Jugendidol Boy George (You Are My Sister) bedankt sich Reed dafür mit einem zumindest für Reed ungewohnt souligen, also gänzlich unsarkastischen Gastauftritt auf I am A Bird Now. Ein Album, dessen zehn handverlesene Songs während gut sechs Jahren sehr, sehr langsam heranreiften.

Reines Gefühl

Antony: "Ich brauche extrem lange beim Komponieren. Alles unnötige Beiwerk in den Songs versuche ich auf das Wesentliche, auf ein möglichst reines Gefühl einzudampfen. Ich schreibe nicht für den Tag. Ich will, dass meine Musik Bestand hat. Das sind schmerzhafte Prozesse, und man hört das den Liedern sehr wahrscheinlich auch an." Muss man für Schönheit also leiden? "Ich würde sagen, ja." (DER STANDARD, Printausgabe, 28.06.2005)