Neun Wochen saß ein Asylwerber wegen Diebstahl eines Fläschchens im Wert von 12,9 Euro in U-|Haft: Völlig rechtswidrig, rügt das Höchstgericht. Nun trotzt die Erste Instanz: sieben Monate Haft, zwei davon unbedingt.

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Wien – "Wegen dem Gfrast muss i schon das dritte Mal hierher hatschen", schimpft eine der beiden Schöffinnen lautstark vor dem Saal. – "Und jetzt tut er auf unschuldig!", empört sie sich. Eine Stunde später hat sie Mitspracherecht beim Urteil: sieben Monate Haft, zwei davon unbedingt, für einen Asylwerber aus Aserbaidschan, der ein Parfumfläschchen im Wert von 12,9 Euro gestohlen und einen Detektiv gerempelt hat.

Nichtigkeitsbeschwerde

Neun Wochen hatte der Mann deswegen in U-Haft verbracht. Er hat damit, in wundersamer nachträglicher Rechts-Kosmetik, seine nun verhängte Strafe bereits abgesessen und könnte "nach Hause" gehen – ohne Anspruch auf Haftentschädigung. Aber da spielt die Verteidigung nicht mit: Sie meldet Nichtigkeitsbeschwerde an.

Ein Grund warum Häftlingszahlen explodieren

Der Fall des 40-jährigen Asylwerbers ist in seiner Kläglichkeit hochaktuell: Es handelt sich um einen jener Ausländer, die die Häftlingszahlen explodieren lassen, deretwegen scheinbar dringend ein zweites Wiener Gefangenenhaus gebaut werden muss: 40 Jahre alt, lebt seit drei Jahren mit seiner Familie, ordentlich gemeldet, im Caritas-Heim in Wien, fällt dort nur durch Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft auf, hatte in seiner Heimat ein Finanzwissenschaftsstudium abgeschlossen. "Er hat jedenfalls nicht aus Jux und Tollerei mit Frau und drei Kindern seine Heimat verlassen", wirft die Verteidigerin ein.

In Österreich hat er bereits mehrere Deutsch- und Computerkurse absolviert. Seine halbwüchsigen Kinder gehen hier in die Schule. "Ich bemühe mich wirklich, ein anständiges Leben zu führen", versichert er. Den Diebstahl des Testparfums Marke "Naomi Campell" versucht er mit "Verwirrung" schönzureden. "Es tut mir Leid, dass so was in meinem Leben passiert ist", beteuert er. Passiert ist es am 24. Februar in einer Bipa-Filiale. Durch "Schläge und Tritte" soll der Mann versucht haben, "die weggenommene Sache zu erhalten", hieß es im ersten Einvernahmeprotokoll eines der beiden Detektive. (Im Prozess sollte davon nur noch ein "Gerangel" übrig bleiben.) Daraus ließ sich der Verdacht auf "räuberischen Diebstahl" herbeiziehen. Wegen "Fluchtgefahr" durfte die U-Haft verhängt werden.

U-Haft rechtswidrig

Diese Vorgangsweise wurde von höchster gerichtlicher Stelle in ungewohnter Schärfe gerügt. Seit wenigen Tagen liegt ein ausgefertigtes OGH- Urteil vor, wonach die neun Wochen U-Haft eine "Grundrechtsverletzung" darstellten. Denn: "Fluchtgefahr" war bei dem Familienvater aus dem Caritas-Heim keinesfalls gegeben. Die Haftbeschwerde sei vom Oberlandesgericht rechtswidrig abgewiesen worden. Der Mann hätte sofort auf freien Fuß gesetzt werden müssen. Nach dem Willen der zuständigen U-Richterin wäre er nur gegen eine Kaution von 7000 Euro noch vor dem Prozess freigekommen. (Üblich sind 1000 bis 2000 Euro.)

Übrigens musste die Schöffin nicht "wegen dem Gfrast" dreimal ins Gericht "hatschen", sondern wegen eines Zeugen, der auch am dritten Prozesstag, zweieinhalb Monate nach dem zweiten, nicht erschien. Das Höchstgericht kritisierte so auch das schleppende Verfahren.(Daniel Glattauer, DER STANDARD Printausgabe 30.6.2005)