Die Luxus-Beinkleider lassen die Preise ins Unermessliche klettern...

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Neulich, im Diesel-Store. Drama an der Kasse. Hauptdarsteller: ein trendbewusster Teenager im Paris-Hilton-Look, eine entsetzte Mutter und nagelneue, fleckige und kunstvoll zerfranste Jeans. "Du hast sie mir zum Geburtstag versprochen", zischt die Tochter, der die Schamesröte ins Gesicht steigt. Die Mutter, immer noch ungläubig auf das Display der Kasse starrend: "Aber da wusste ich nicht, dass so ein Ding 250 Euro kostet." Die Verkäuferin schaut pikiert drein - schon wieder so ein Stümper: "Das ist eine Limited Edition - ein ganz besonderes Stück." Doch die Mutter lässt sich nicht einschüchtern: "Sind wir hier in einer Galerie oder in einem Jeans-Laden?" Sie packt das Portemonnaie verärgert wieder ein. Sie hat das Prinzip nicht verstanden.

Die guten alten Jeans sind längst nicht mehr praktisches Basis-Beinkleid der Jugend, Symbol der Rebellion, Fahne der Underdogs. In den vergangenen Jahren hat das einstige textile Schmuddelkind eine preisintensive Karriere zum ultimativen Statussymbol hingelegt. Während Joschka Fischer vor 20 Jahren bei seiner Vereidigung im Deutschen Bundestag noch mit Jeans schockierte, ist die als aufmüpfig geltende kleine Blaue heute in den Chefetagen der Kreativen und auf den roten Teppichen dieser Welt längst salonfähig geworden - Hollywoodstars wie Uma Thurman tragen sie kombiniert mit Chanel, und selbst Karl Lagerfeld hat sich in Röhrenjeans reingehungert. Der Mythos ist im Establishment angekommen.

In Amerika, dem Heimatland der Jeans, kann die traditionelle Arbeiterhose neuerdings gar nicht teuer genug sein. Die so genannten US-Premium-Denims heißen heute Paper Denim & Cloth, Blue Cult oder auch 7 for all Mankind, Citizens of Humanity - Namen, die politisch korrekt klingen, aber deren Preise alles andere als das sind: Unter 200 Dollar geht da gar nichts, nach oben offen. Man muss es sich leisten können, diese künstlich verschlissenen, bestickten, zerrissenen oder mit Einschusslöchern versehenen Hosen zu tragen. Je oller, desto teurer. Nie war es so kostspielig, alt auszusehen.

Während heute die Träger jede Falte...

... auf der eigenen Haut erbarmungslos mit Skalpell oder Botox bekämpfen, geben sie für vergreiste Jeans, ohne mit der Wimper zu zucken, 350 Dollar aus. Die Hose transportiere ein "epidermisches Selbstbewusstsein", wie Jeans-Philosoph Umberto Eco beschreibt. Wo das eigene Alter negiert wird, kann die äußerste Hülle nicht alt genug sein. Da wird gebleicht, geschmirgelt, gelasert und gebacken, um den Hosen Spuren einer Vergangenheit einzuhauchen, die sie nie hatten. Falten werden vorgeknittert - mit Nylonfäden oder mit Resin. Dafür wird die Buxe lässig an den gewünschten Stellen gefaltet, in ein Harzbad getaucht und danach im Ofen bei 160 Grad knusprig gebacken.

Nie hätte sich wohl Levi Strauss träumen lassen, dass die Paris Hiltons und metrosexuellen Männer dieser Welt, die in ihrem Leben meist nichts Schwereres zu beackern hatten als ihr Ego oder ihren Computer, heute nach Jeans gieren, die nach möglichst viel Blut, Schweiß und Tränen aussehen. Als der oberfränkische Einwanderer 1853 die ersten Jeans - übrigens aus braunen Zeltplanen - schneiderte, wollte er den hart schuftenden Holzfällern, Goldgräbern, Minenarbeitern und Cowboys eine strapazierfähige Arbeitshose schenken. Die war schnell so beliebt, dass er zehn Jahre später einen weicheren, aber ebenso stabilen, indigogefärbten (also blauen) Baumwollstoff aus Frankreich dafür benutzte: den so genannten "Bleu de Nîmes" - woraus sich schnell der amerikanisierte Begriff Denim entwickelte.

Heute gibt es die besten Jeans-Schmieden...

... und Wäschereien in Italien, die besten Denims kommen aus Japan. In der globalen Kombination stellt auch Replay seine Jeans her. "In teils bis zu vierstündigen Prozessen und enorm viel Handarbeit werden unsere Hosen gewaschen, geschmirgelt, kaputtgemacht und wieder gestopft. Dadurch haben sich die Produktionskosten verdoppelt", erklärt Dieter Kohl, Replay-Generalvertreter Österreich. "Wo früher Jeans im Laden für rund 700 Schilling zu haben war, kosten sie heute 120 Euro." Dafür fühlt sich eine Replay-Jeans dann schon in der Umkleidekabine so weich und "used" an, als hätte man bereits den gesamten Wilden Westen mit ihr erritten. Besonders aber in der hochpreisigen "We are"-Linie, die sich zwischen 180 und 250 Euro bewegt und auch schon einmal mit aufwändigen Swarovski-Kristallen bestickt wird, gleicht keine Hose der anderen. Jedem sein persönliches Loch. Individualität und künstliche Verknappung durch "Limited Editions" wird groß geschrieben im Zeitalter von Massenproduktion und Überfluss.

Die enormen Preise rechtfertigen sich daher nicht nur über die gestiegenen Produktionskosten, meint Danielle DeBie, Pressesprecherin von Europas größter Trend- und Jeanslabel-Messe "Bread & Butter", die vom 8. bis 10. Juli in Barcelona gastiert. "Geschickte Imagekampagnen und Promis, die ein Label öffentlich tragen, wecken Begehrlichkeiten und erhöhen den Marktwert", weiß sie. "Denim ist und bleibt der Stoff, aus dem die Träume sind." Des Kaisers neue Beinkleider bescheren ihren Machern auf jeden Fall märchenhafte Umsätze: Diesel konnte seinen in den vergangenen Jahren jedenfalls fast verdreifachen - auf 850 Millionen Euro. (Silke Bender/Der Standard/rondo/01/07/2005)