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Makobo Constance Modjadji VI. bei ihrer Krönung im April 2003.
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Elfriede Höckner, Ethnologin: "In der Vorstellung der Lobedu verkörpert Modjadji das Wohl des Ganzen, sie ist die Verbindung zu den Ahnen und sie hat Einfluss auf Sonne und Regen".
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Mitte Juni verstarb Südafrikas Königin Makobo Constance Modjadji VI. im Alter von 27 Jahren. Als Nachfolgerin ihrer Großmutter war sie 2003 zur Königin der im Norden des Landes lebenden Lobedu, einer der letzten matriachal geführten Ethnien, gewählt worden. Ebenso wie ihren Vorgängerinnen wurde Modjadji VI. vielerseits auch die Fähigkeit zugesprochen, Einfluss auf das Wettergeschehen zu haben. Die Ethnologin Elfriede Höckner spricht im Interview mit Christa Hager über die gesellschaftliche Rolle der "Regenkönigin" und die matriarchal geordnete Gesellschaft der Lobedu.

dieStandard.at: Modjadji VI. hatte einen High-School-Abschluss und galt als Vermittlerin zwischen Tradition und Moderne. Inwieweit hatte dies Auswirkungen auf ihre Regentschaft?

Höckner: Ganz allgemein bringt der Hochschulabschluss von Modjadji VI zum Ausdruck, dass die royalen Lobedu verstanden haben, dass Bildung von Vorteil bzw. notwendig ist, um sich in der Welt zu orientieren und auch eine Ausrichtung zu finden. Ihre Wahl zeugt jedenfalls vom Realitätssinn der Lobedu.

dieStandard.at: Übt eine Königin generell noch entscheidende Funktionen aus, oder ist es eher ein repräsentatives Amt?

Höckner: Ich denke, dass das Amt der Königin denselben Einschränkungen unterliegt, denen ganz generell traditionelle Gesellschaften in ihrem Funktionieren und ihren internen Regeln unterliegen. Bereits um 1884 war die Lobedugesellschaft von der Burenregierung militärisch besiegt worden, was zur Folge hatte, dass die Lobedu ihre Autonomie und Souveränität in einem großen Ausmaß verloren haben. Sie verloren den Großteil ihres Landes, wurden in Reservate eingesperrt und mussten Steuern entrichten, was bedeutete, dass sich insbesondere die Männer zum Gelderwerb von der traditionellen Subsistenzwirtschaft, die die soziale und ökonomische Grundstruktur ausmachte, abwandten, um sich als Migrationsarbeiter zu verdingen.

Im Rahmen der vorhandenen autonomen Entscheidungsmöglichkeiten der Gesellschaft ist das Amt der Königin sicher von Bedeutung. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Nelson Mandela Modjadji seine Aufwartung machte, d.h. ihr seinen Respekt bekundete.

dieStandard.at: Wie sieht das Verhältnis zwischen dem Königreich und der südafrikanischen Regierung aus? Die Vorgängerin Modjadji der VI., ihre Großmutter, soll in den 80iger Jahren einer Regierung des ANC ablehnend gegenübergestanden haben. Weshalb? Gibt es diesbezüglich Unterschiede zwischen einst und jetzt?

Höckner: Wie weit sich die Königin einer kleinen Ethnie eine offizielle Unterstützung des ANC leisten hätte können, weiß ich nicht. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass man sich das sehr genau ansehen muss, was während und auch noch nach dem grausamen Apartheidsregime nach Außen hin überhaupt möglich gewesen ist.

Historisch gesehen ist es jedenfalls so, dass die Lobedu ein großes Verhandlungsgeschick vorzuweisen haben, und sowohl gegenüber den Engländern als auch gegen die Buren ihre Souveränität mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigten. Die Lobedu waren eine der letzten Ethnien, die militärisch besiegt wurden, um sie endlich durch die Vormacht des Burenstaates und der Burenregierung zu beherrschen.

dieStandard.at: Sie selbst haben Modjadji V. in Südafrika persönlich gesehen (siehe: Stippvisite bei einer Königin). Welche Eindrücke hatten Sie?

Höckner: Modjadji erstaunte mich beim ersten Anblick, da sie sich rein äußerlich überhaupt nicht von einer "normalen" Lobedufrau unterschied. Bei genauerer Betrachtung würde ich meinen, dass sie eine in sich ruhende Frau war, die ihr Amt mit Stärke trug und sich den Herausforderungen stellte.

dieStandard.at: Modjadji VI. war 2003 zur jüngsten Königin der Balobedus gewählt worden. Diese Ethnie wird oftmals auch als matriarchal geordnete Gesellschaft bezeichnet. Trifft dies zu?

Höckner: Die akademische Diskussion, was ein Matriarchat definiert, ist eine sehr komplexe. Matriarchal an der souveränen Lobedugesellschaft bis 1884 war sicherlich, dass sie eine egalitäre Grundstruktur hatten, und dass Frauen als Lebensspenderinnen, also die reproduktiven Fähigkeiten der Frau – die in so vielen modernen Gesellschaften, nicht zuletzt in unserer, zum Nachteil wurden – sich als produktives Grundelement der gesamten Gesellschaftsstruktur etablieren konnte. Dies drückte sich insbesondere auch in der politischen Struktur aus, in der Frauen zentrale Stellen einnahmen.

Die Lobedu waren bis zu ihrer militärischen Niederlage eine autochthone Gesellschaft, die Subsistenzwirtschaft betrieb, die auf Landwirtschaft und Viehwirtschaft ruhte. Es gab kein Privateigentum an existenziellen Produktionsmitteln, die Königin galt als Mittlerin zwischen den Ahnen und den Lebenden, als Garantin der bestehenden Ordnung, sie allein besaß Macht über Land und Leute. Diese Macht musste sie jedoch auch real einlösen, indem sie das Leben ermöglichte. Die royalen Lobedu bildeten den politischen Kern, der aus diversen Ethnien bestehenden integrativen Lobedugesellschaft. Das Land, die existenzielle Basis schlechthin, war gebunden an die Königin. Das Land selbst war unterteilt in große und kleine Häuptlingschaften, deren Vorsteherinnen Frauen waren. Dieses Ordnungsprinzip wurde wiederum durch ein ausdifferenziertes Heiratssystem gewährleistet, das in ihrer sozial-politischen Dimension von Modjadji und ihren Räten bestimmt wurde.

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dieStandard.at: Nach Medienangaben soll bis zur Nachfolge der Bruder von Modjadji VI. die höchste Autorität im Königreich innehaben. Widerspricht nicht auch dies einer matriarchalen Gesellschaftordnung?

Höckner: Nein. Man muss die einzelnen Elemente in ihrer Eingebundenheit in das komplexe Funktionieren der Gesamtstruktur sehen. Schwester-Bruder bilden das Ganze einer Dualität. Dies ist das Grundelement einer sehr ausgeklügelten sozialen Struktur. Prinzipiell ist die Gesellschaft eine gemeinschaftliche, auch die royalen Häuser im Sinne von Genealogien bestehen als Kollektiv, nicht einmal Modjadji trifft als Einzelperson Entscheidungen sondern gemeinsam mit ihren Räten.

dieStandard.at: Wie und von wem wird die Nachfolgerin bestimmt? Wie sehen die rituellen Prüfungen aus?

Höckner: Die Position der Königin wird vom royalen Kern der Lobedugesellschaft bestimmt. Dieser Kern setzt sich aus rivalisierenden Lineages, also Abstammungslinien /-gruppen zusammen, zwischen denen um die Nachfolge gerungen wird. Tatsächlich sind aufgrund der genealogischen Rangordnung bestimmte Personen für die Nachfolge geeignet. Auch hier ist das Schwester-Bruder-Paar wichtig, wird doch der Bruder meist die rechte Hand der neuen Modjadji.

Historisch belegt ist, dass in der äußerst prekären Situation kolonialer Auseinandersetzungen 1884, die bereits mit dem Tode ringende Modjadji ihre Nachfolgerin definitiv bestimmte. Ihre Räte setzten diese Entscheidung de facto in die Tat um. Die Nachfolgerin wird in die Rituale des Regenmachens eingeweiht, bei denen Regenmedizinen – bestehend aus materiellen Überresten vorgegangener Herrscherinnen - und das Plazieren derselben an ausgewählten Orten eine Rolle spielen. Der zentrale ideelle Aspekt dabei ist die Anrufung der Ahnen um Unterstützung, was eine genaue Kenntnis der überlieferten Geschichte und ihrer Protagonisten impliziert. Insignien der Macht, u.a. Trommeln – die aufgrund ihres Klanges als Transportmittel für Information, Einberufung von Zusammenkünften etc. dienen – werden ihr übergeben.

Die offizielle Zeremonie der Nachfolgebesetzung ist das sogenannte "Öffnen der Tür". Das bedeutet, dass alle Personen, die glauben, ein Anrecht auf die Herrschaftsnachfolge zu haben, versuchen, eine bestimmte Türe zu öffnen. Diese öffnet sich jedoch nur bei der einzig richtigen Modjadji. Es ist Allgemeinwissen, dass hinter der Tür zwei starke Männer stehen und diese erst dann loslassen, wenn die Richtige, d.h. die bereits vorher Bestimmte anklopft.

dieStandard.at: In den Medien immer wieder erwähnt ist auch die angebliche Fähigkeit der Modjadji-Dynastie, Einfluss auf das Wetter zu haben, sei es durch Vorhersagen oder Einfluss auf das Wettergeschehen. Diesbezügliche Angaben sollen selbst MeteorologInnen immer wieder erstaunen. Ist dies nur ein Mythos?

Höckner: Entscheidend ist, dass am Beginn einer Regentschaft die neue Modjadji ihre Kompetenz in der Wettervorhersage unter Beweis stellen muss, andernfalls kann sie abgesetzt werden. Sie als Garantin des Lebens schlechthin muss gewisse Erfolge vorweisen können. Sie ist es, die den Zeitpunkt der Aussaat bestimmt – ist er falsch, bleibt der Regen aus und die Saat kann nicht gedeihen. Dies führt zu lebensbedrohenden Lebensmittelengpässen, im schlimmsten Fall zu einer Hungerkatastrophe. Die Wetterprognose entscheidet über Leben und Tod. Die Lobedu sind ausgezeichnete Beobachter und haben als Subsistenzwirtschaft betreibende Bauern über Jahrhunderte bestimmte Fähigkeiten entwickelt.

Die Vorherrschaft einer royalen Gruppe beruht auf der Einlösung bestimmter Kompetenzen, die Herrschaft muss sich legitimieren, sie ist abhängig von der Zustimmung der Menschen. In der Vorstellung der Lobedu verkörpert Modjadji das Wohl des Ganzen, sie ist die Verbindung zu den Ahnen und sie hat Einfluss auf Sonne und Regen. Sie gewährleistet die Harmonie zwischen Lebenden und Toten, einen "nachhaltigen" Umgang mit der Natur, das Schlichten von Streitigkeiten unter den Lebenden. Diese Balance herzustellen zwischen den Unbillen der Natur, den Schwächen der Menschen usw. – dieser Balanceakt, der von der Gesamtgesellschaft realiter vollzogen wird, verkörpert sich in der sozialen Rolle der Modjadji.