Berlin - Als Konsequenz aus dem Gerangel um die Vertrauensfrage und die damit beabsichtigten Neuwahlen wird in Deutschland über Parteigrenzen hinweg der Ruf nach einer Verfassungsänderung laut. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) bekräftigte am Freitag im Sender n-tv, der Bundestag müsse mit einer Zwei-Drittel- oder Drei-Viertel-Mehrheit das Recht zur Selbstauflösung erhalten. Bei einem solch hohen Quorum sei das neue Recht vor Missbrauch geschützt. "Wir leben nicht mehr in der Weimarer Republik, wir sind in einer stabilen, gefestigten Demokratie", sagte Thierse.

Auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit plädierte für eine Änderung des Grundgesetzes. "In der nächsten Legislaturperiode sollte die Verfassung geändert werden", sagte der SPD-Politiker der "Berliner Morgenpost" vom Samstag. Die Diskussion darüber müsse aber in einem gewissen Abstand zur aktuellen Diskussion geführt werden.

Der Unions-Innenexperte Thomas Strobl hält ein an ein sehr hohes Quorum geknüpftes Selbstauflösungsrecht des Parlaments ebenfalls für denkbar. Die Mindestzustimmung müsse bei zwei Dritteln der Abgeordneten liegen, sagte der baden-württembergische CDU-Generalsekretär dem Südwestrundfunk. Vorausgehen müssten der möglichen Änderung ausführliche Beratungen mit Verfassungsrechtlern und Wissenschaftlern. Strobl trat zudem für eine Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre ein.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte am Freitag im Parlament die Vertrauensfrage gestellt und diese - wie von ihm beabsichtigt - verloren. Bundespräsident Horst Köhler muss nun innerhalb von 21 Tagen darüber entscheiden, ob er den Bundestag auf Vorschlag Schröders auflöst und so im September eine Neuwahl stattfinden kann. Einige kleine Parteien und einzelne Parlamentarier haben jedoch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt, sollte das Parlament aufgelöst werden. (APA/Reuters)