Wien - "Verantwortlich für den Anschlag ist die iranische politische Führung." Mit diesem Satz löste am 10. April 1997 in Berlin der Gerichtsvorsitzende im "Mykonos"-Prozess eine Eiszeit im Verhältnis zwischen der Europäischen Union und dem Regime in Teheran aus. Erstmals wurden die höchsten iranischen Führer von einer gerichtlichen Instanz als Drahtzieher terroristischer Anschläge im Ausland bezeichnet. Das "Mykonos"-Urteil veranlasste die EU-Staaten, ihre Botschafter vorübergehend aus Teheran abzuziehen.

Deutsches Gericht machte Iran für Kurden-Morde verantwortlich

Das deutsche Gericht machte die Teheraner Staatsführung direkt verantwortlich für die Morde an vier iranisch-kurdischen Oppositionellen in Berlin. Die deutsche Bundesregierung sprach von einem eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht. Am 17. September 1992 war in dem griechischen Spezialitätenrestaurant "Mykonos" die Führungsspitze der Kurdischen Demokratischen Partei/Iran liquidiert worden: Parteichef Sadegh Charafkandi und drei seiner Mitarbeiter. Der Lokalbesitzer wurde lebensgefährlich verletzt. Vier Beteiligte konnten gefasst werden. Das Blutbad wurde zum Wendepunkt im Kampf gegen den iranischen Staatsterrorismus. "Ein derartiges Vorgehen im Bereich der internationalen Beziehungen kann nicht hingenommen werden", erklärte die deutsche Regierung empört.

Wiener Kurden-Morde

Im "Mykonos"-Prozess wurde überdies festgestellt, dass auch der Vorgänger Charafkandis, Abdul Rahman Ghassemlou, im Juli 1989 in Wien im Auftrag der iranischen Führung ermordet worden war. Österreichische Beamte sagten vor dem Gericht in Berlin aus, dass sich der Iran für die mutmaßlichen Attentäter von Wien eingesetzt hatte. Ghassemlou wurde in einer Privatwohnung mit seinem Stellvertreter Abdullah Ghaderi-Azar und dem in Österreich eingebürgerten Kurden Fadel Rasoul bei einem Geheimtreffen mit Emissären des Teheraner Regimes ermordet.

Nach Morden unbehelligte Ausreise der Tatverdächtigen

Die Tatverdächtigen tauchten in der iranischen Botschaft unter und konnten nach massiven Interventionen ihrer Regierung unbehelligt ausreisen; einer von ihnen - ein hoher Funktionär der Revolutionsgarden (Pasdaran) - wurde sogar unter Polizeischutz zum Schwechater Flughafen geleitet. Der Chef der Politischen Sektion des Außenamts, Botschafter Erich Maximilian Schmid, sagte im April 1997 nach seiner Pensionierung in einem TV-Interview, der iranische Botschafter habe "mit ziemlicher Klarheit" zu verstehen gegeben, dass "es gefährlich werden könnte für die Österreicher im Iran", sollten die Tatverdächtigen in Österreich vor Gericht gestellt werden.

Irans Druckmittel gegen Österreich

Ende November 1989 gab Innenminister Franz Löschnak nach einem Treffen mit dem Chef der Terrorbekämpfungsabteilung im US-Außenamt, Morris Busby, in Washington bekannt, dass Haftbefehle gegen die Tatverdächtigen erlassen worden seien. Allerdings hatte der Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, Robert Danzinger, per Weisung die Überwachung der iranischen Botschaft "reduzieren" lassen.

Im August 1991 erklärte der in Frankreich im Exil lebende Ex-Präsident Abolhassan Bani-Sadr, Teheran besitze ein "Druckmittel" gegen Österreich, nämlich die Unterlagen über die illegalen österreichischen Waffenlieferungen im irakisch-iranischen Golfkrieg 1980-88. (In der Noricum-Affäre war eine Woche vor dem Attentat eine Voruntersuchung gegen die SPÖ-Politiker Altbundeskanzler Fred Sinowatz, Ex-Außenminister Leopold Gratz und Ex-Innenminister Karl Blecha eingeleitet worden.)

"Experten in Mordtechniken"

Der im März 1996 in der Türkei festgenommene und als Terrorist eingestufte Irfan Cagirici belastete die iranische Regierung als seine angebliche Auftraggeberin schwer und entlarvte den Diplomaten Ahmad Aghighi, der 1989 in Wien tätig war, als "Experten in Mordtechniken".

Im November 1992 war die Amtshaftungsklage der Ghassemlou-Witwe in Wien in dritter Instanz abgewiesen worden; die Republik Österreich bescheinigte ihren Organen, dass es "keinerlei schuldhaftes und rechtswidriges Verhalten" gegeben habe. Grüne und Liberale scheiterten 1997 mit ihrer Forderung nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung möglicher Vertuschungsversuche am Widerstand der Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP.

Von einem "bösen, brutalen und vorbereiteten Verbrechen" sprach der damalige Nationalratspräsident und heutige Bundespräsident Heinz Fischer bei einer Gedenkfeier zu Ehren von Ghassemlou. Es sei "bitter und traurig", dass die Bestrafung der Täter nicht zu Stande gekommen sei. Über diesen Umstand könne man mit "Recht voll Trauer und Bitterkeit" erfüllt sein...(APA)