Betroffene Frauen gingen mit Nora Coffey auf die Straße, um gemeinsam auf die Problematik der weiblichen Kastration aufmerksam zu machen.
Foto: Coffey

Diagnose: Eierstockkrebs. Konsequenz: Entfernung beider Eierstöcke und der Gebärmutter. Nora Coffey war 36, als dieser Einschnitt, der ihr gesamtes Leben verändern sollte, vorgenommen wurde. Als Mutter dreier Kinder und Ehefrau eines renommierten Anwalts in Philadelphia tat sie das, was ihr fünf ÄrztInnen geraten hatten: Sie unterschrieb die Einwilligung zur Operation, die ihr als lebensrettend erklärt wurde. Und als nicht beeinträchtigend für ihr weiteres Leben.
Die Zysten an ihren Ovarien waren gutartiger Natur, wie man dann herausfand. Sie hatte niemals Krebs gehabt, eine Totaloperation wäre nicht notwendig gewesen.

Heute ist Coffey 62 Jahre alt und macht sich stark gegen unnotwendige "Kastration", wie sie es aus Überzeugung heraus nennt. In den USA leben 21 Millionen Frauen ohne (Teile) ihre(r) Geschlechtsorgane, 670.000 Frauen kommen jährlich hinzu; drei Viertel von ihnen erhalten eine Totaloperation. Bei etwa einem Prozent wäre der Eingriff tatsächlich lebenserhaltend gewesen. Dieser "prophylaktischen" Praxis will Coffey ein Ende setzen. Sie hat die Konsequenzen und Langzeitschäden am eigenen Leib erfahren.

Nicht die Ausnahme

Am vergangenen Donnerstag war sie zu Gast in Wien, um in einer intimen Runde aufzuklären, Betroffenen zuzuhören, Informationen weiter zu geben und gewährte dabei auch Einblicke in ihre persönliche Leidensgeschichte. Denn anders kann sie nicht genannt werden. Coffey's soziales, berufliches und privates Leben war nach dem Eingriff ein anderes. Sie gab ihren Job an der University of Pennsylvania auf, konnte ihrem Hobby als Orchestermusikerin nicht mehr nachgehen und ihre Kinder nicht mehr betreuuen – sie war derart angegriffen, dass sie bettlägrig war und später noch lange Zeit Gelenksschienen tragen musste. Ihr Sexualleben veränderte sich dauerhaft. Auch trotz der ständigen Zufuhr von Hormonersatzpräparaten. Doch bei den ÄrztInnen, die ihr zur Operation geraten hatten, lief sie gegen eine Wand aus Argumentationen, die sie als "Ausnahme" darstellten. Sie hätten noch nie von derartigen Komplikationen von anderen Frauen gehört. Ihre Probleme wären "in ihrem Kopf". Sie sollte zur Psychiaterin gehen. Oder eine andere Spezialistin aufsuchen. Dass sie immer noch genau so Frau wäre wie vor dem Eingriff.
Aber sie war nicht die Ausnahme.

Weitläufig gilt die weibliche Kastration als unglimpflich – die Mehrheit der ÄrztInnen wie Patientinnen sehen die Funktion der inneren weiblichen Sexualorgane in der Reproduktion erfüllt. Dass das Fehlen eben dieser Ausfallserscheinungen des gesamten endokrinologischen Systems, eine Verlagerung der inneren Organe, eine Verkürzung der Vagina und Beeinträchtigungen der Libido und des Sexualempfindes der Frau zur Folge hat – bei Frauen in fruchtbaren Jahren besonders, aber auch bei jenen jenseits der Menopause -, ist in Ordinationen nur selten Thema, auch in heimischen. ExpertInnen schätzen, dass ein Drittel der in Österreich durchgeführten Hysterektomien vermeidbar wären. So wird auch bei anhaltenden starken Regelblutungen operiert, obwohl an den Organen selbst keine krankhaften Veränderungen nachweisbar sind.

Alternativen

Für Nora Coffey liegen Handlungsmöglichkeiten gegen die Kastration auf der Hand: Man müsse Patientinnen verstärkt über Behandlungsalternativen wie die Myomektomie (das alleinige Entfernen etwaiger Zysten) oder die Embolisation (bei der Blut zuführenden Gefäße zum Myom blockiert werden) aufklären, und das setze auch eine Aufklärung der ÄrztInnen voraus. Dass ob der Möglichkeiten weiter total operiert würde, zeugt für Coffey von struktureller Vernachlässigung von Frauen in der Medizin, und zum Teil auch von Misogynie. Würden Männern ihre geschlechtsstiftenden Organe weggeschnitten, gäbe es ihrer Überzeugung nach kein derart großes Schweigen über den Mißbrauch: "Eine Revolution würde stattfinden." Frauen wären nicht gewohnt, für ihre Rechte einzutreten.

Mobilisierung

Wobei Coffey ihnen aber auf die Sprünge helfen will: Sie tourte durch 52 US-Städte und mobilisierte Betroffene vor Ort, ihrer bislang meist nur den engsten Vertrauten bekannten Krankheitsgeschichte Ausdruck zu verschaffen. Und so kamen die Frauen auch oft auch mit Kind und Kegel, denjenigen, die ebenfalls unter dem Einschnitt in das Leben, den Körper der Mutter/Partnerin zu leiden hatten. Außerdem fungierte Coffey als Beraterin für zwei Dokumentationen über Hysterektomie, die die Öffentlichekit für das Thema sensibilieren sollten, sowie einem Stück namens "un becoming" von Rick Schweikert, das letztjährig in New York Permiere hatte und anschließend ebenfalls auf Tour ging – ganz im Sinne der Aufklärungsbemühungen.

Errungenschaften

700.000 Frauen hat Coffey schätzungsweise in den 23 Jahren des Bestehens der Foundation – sei es nun über mediale Öffentlichkeit oder persönlich – erreicht, ihnen ÄrztInnen empfohlen, Spitalsplätze verschafft, sie unterstützt. Und nebenher auch essentielles Wissen weiter gegeben, das von den zuständigen ÄrztInnen verabsäumt oder unterschlagen wurde. Auch, dass mit gutem – wenn nicht besserem Gewissen – gerne hinterfragt werden darf, was Menschen in weißen Kitteln einer raten. Besonders, wenn es sich um irreversible Eingriffe handelt. Oder dass wissenschaftliche Studien, wie eine der Universität Utrecht aus dem Jahr 2003, die Frauen mehr Spaß am Sex nach der Entfernung des Uterus attestiert hat, weniger Aussagekraft haben als die Konklusio schambefreiten Austausches zwischen Betroffenen.

Was Coffey noch erreichen will: Die Implementierung der unnotwendigen Eierstock- und/oder Gebärmutterentfernung im Strafrecht. Sie sollte so behandelt werden wie jede andere Körperverletzung. Dann würden ÄrztInnen ihrer Meinung nach nicht voreilig einen Einschnitt in ein Frauenleben wagen. (bto)