PRO:

Her mit den Piefkes!
Von Barbara Tóth

Und auch her mit den Finnen, Esten, Tschechen, Slowaken, Ungarn und wer noch aller beschließt, in Österreich trotz des äußerst durchschnittlichen Rufs seiner Universitäten einen Teil seiner Bildungskarriere zu absolvieren. Wo sonst, wenn nicht an den Universitäten, soll jenes neue Europa, von dem die Politiker in Brüssel derzeit so viel träumen, entstehen?

Die innerösterreichische Diskussion, wie sie seit Bekanntwerden des EuGH-Urteils geführt wird, ist an Provinzialismus nicht zu überbieten. Da werden deutsche Studenten zu Numerus-clausus-"Flüchtlingen", die den Einheimischen ihre angestammten Studienplätze wegnehmen. In Folge beklagen Ärzte- Interessenvertreter, dass es schon in wenigen Jahren an "österreichischen" Ärzten mangeln könnte. Was aber, wenn sich ein Gutteil jener deutschen (oder etwa tschechischen) Studenten in Österreich niederlässt und hier seinem erlernten Beruf nachgeht? Genauso wie österreichische Mediziner schon heute ihr Praktikum im ehemaligen Ostdeutschland absolvieren, weil dort Ärztemangel herrscht? All das folgt jenen Gesetzen von Angebot und Nachfrage, die Kellner aus Dresden oder Leipzig in die Tiroler Alpen wandern lässt und österreichische Nachwuchsmanager nach Bukarest oder Prag. Das ist Europa.

Was für den Markt gilt, soll auch für die Universitäten gelten. Politik und Öffentlichkeit agieren aber so, als wäre Bildung streng rationalisiertes, nationales Gut. Dabei ist es die Internationalität, die Bereitschaft, über die Grenzen des eigenen Landes hinwegzugehen und -denken, die eine moderne Wissensgesellschaft ausmacht. Eine Hochschulpolitik, die das nicht versteht und nicht bereit ist, die notwendigen Mittel in die Hand zu nehmen, darf sich nicht wundern, dass die Austrouniversitäten bald so sein werden wie der Diskurs über sie: provinziell.


KONTRA:

Die EU-Saga
Von Lisa Nimmervoll

"Komödie einer vergeblichen Zuneigung" nannte Felix Mitterer seine "Piefke- Saga". Nun, die Vergeblichkeit dürfte durch das EuGH-Urteil zum österreichischen Hochschulzugang gefestigt - und gleich noch auf "die EU" ausgeweitet werden. Diese Reaktion ist nicht unbedingt schön, sie ist nicht wirklich rational, aber sie ist verständlich und bis zu einem gewissen Grad berechtigt. Nur mit Deutschenfeindlichkeit oder Abschottungsversuchen gegenüber dem Weltgeist hat die Kritik am EuGH-Urteil nichts zu tun.

Das österreichische Bildungssystem ist großteils steuerfinanziert. Von den Steuern der Österreicherinnen und Österreicher. Da ist es gerechtfertigt, wenn österreichische Eltern sagen, ich möchte, dass mein Kind auch von dem von mir miterarbeiteten Volkseinkommen profitiert. Im Übrigen finanzieren wir als Nettozahler sehr wohl etwa die Olivenhaine Portugals. Gut, das ist der Deal, den EU-Mitglieder machen.

Aber das juristisch unzweifelhaft wasserdichte EuGH-Urteil ist bemerkenswert ignorant hinsichtlich seiner politischen Implikationen. Es macht einen Unterschied, ob ein paar Österreicher in England studieren oder ob die Ausbildungslast des großen Deutschland auf das kleine Österreich abgewälzt wird.

Wenn die EU mit dem Bologna-Prozess und der Vergleichbarkeit der Studienabschlüsse eine gemeinsame Bildungsarchitektur für Europa aufbauen will, dann wird das - konsequent umgesetzt - auch bildungspolitische Implikationen haben müssen. Bananengröße, Gurkenkrümmung, Traktorensitznorm - dafür hat Europa gemeinsame Lösungen oder spezifische Solidarmodelle entwickelt. Es wäre das Mindeste, das auch für die knappste und zugleich wertvollste Zukunftsressource, nämlich Bildung, zu tun. (DER STANDARD, 15.7.2005)