Washington - Sie gilt als dickköpfig und hat alles andere als ein glückliches Händchen: In acht Jahren als Justizministerin der Vereinigten Staaten hat sich Janet Reno zwar Respekt verschafft, doch die Schar ihrer Feinde ist stetig gewachsen. Mit ihrer dicken Brille, der stockenden Stimme und dem Zittern, das ihre Parkinson-Erkrankung verrät, straft die 62-Jährige all diejenigen Lügen, die behaupten, nur wer im Fernsehen gut aussehe, schaffe es heutzutage in den USA in ein hohes Amt. Jetzt hat sie sich in den Fall des kubanischen Flüchtlingsbuben Elian Gonzalez verbissen - wohl auch, um als Ministerin mit Augenmaß und Herz in die Geschichtsbücher einzugehen. Die Millionenstadt Miami im US-Staat Florida, wo sich das Drama um Elian abspielt, ist für Reno heimisches Territorium. Dort wurde sie am 21. Juli 1938 als Tochter eines Journalisten-Ehepaares geboren, dort verbrachte sie den Großteil ihres Lebens. Reno studierte an den Elite-Universitäten Cornell und Harvard im Nordosten der USA, bevor sie in eine Anwaltskanzlei in Miami eintrat. Jugendrecht reformiert 1978 wurde sie Staatsanwältin des Bezirks Dade: 15 Jahre lang jagte sie Männer, die ihren Kindern den Unterhalt vorenthielten, reformierte das Jugendrecht und richtete ein Drogengericht mit alternativen Strafen für rauschgiftabhängige Täter ein. Renos Feuertaufe kam 1980. Damals sprach ein Gericht mehrere Polizisten hispanischer Herkunft frei, die der Tötung eines schwarzen Versicherungsvertreters angeklagt waren. In Miami gingen ganze Straßenzüge in Flammen auf, 19 Menschen wurden getötet. Reno war über die Unruhen so verzweifelt, dass sie kurz entschlossen im eigenen Wagen los fuhr, um sich einer Bürgerversammlung zu stellen. Jahre später erreichte sie die Verurteilung eines weißen Polizisten, der zwei schwarze Motorradfahrer getötet hatte. Als Justizministerin war Reno für US-Präsident Bill Clinton 1993 dritte Wahl. Seine beiden ersten Kandidatinnen fielen durch, weil sie illegale Einwanderinnen als Kindermädchen beschäftigt hatten. Reno, die kinderlos ist und sich selbst als "alte Jungfer" bezeichnet, demonstrierte von Anfang an ihre Unabhängigkeit. "Wenn dem Präsidenten meine Ratschläge nicht passen, dann gehe ich einfach nach Florida zurück", sagte die Feministin freimütig. Debakel in Waco Schon ihr erster Fall als Justizministerin endete in einem Debakel, an das sie nach eigenen Worten noch heute jeden Tag denken muss. Im April 1993 ließ sie das Anwesen der Davidianer-Sekte im texanischen Waco stürmen. Im Zuge der Polizeiaktion, die derzeit neu untersucht wird, gingen die Gebäude in Flammen auf. 80 Menschen starben, darunter viele Kinder. Behördlicher Größenwahn ohne Herz und Augenmaß, lautete das Urteil ihrer Gegner. Spätestens zu Beginn seiner zweiten Amtszeit hätte Clinton seine Justizministerin am liebsten ausgewechselt, doch zu diesem Zeitpunkt waren ihm die Hände schon gebunden. Die Ablösung der Frau, die der Einsetzung des gefürchteten Sonderermittlers Kenneth Starr zur Untersuchung der Whitewater-Immobilienaffäre zugestimmt hatte, hätte zu sehr nach der Entfernung einer unliebsamen Gegnerin ausgesehen. Dass Reno dem Sonderermittler erlaubte, sich auch der Sex-Affäre um die Ex-Praktikantin Monica Lewinsky anzunehmen, betrachteten selbst ihre Anhänger als Ungeschicklichkeit. Unbeliebt bei den Republikanern Auch bei den Republikanern machte sich die 62-Jährige gründlich unbeliebt: Sie weigerte sich, eine offizielle Untersuchung der Spendenvorwürfe gegen Vizepräsident Al Gore einzuleiten, und wandte sich damit gegen den erklärten Rat von FBI-Direktor Louis Freeh, der sich inzwischen nach einem neuen Job umsieht. Mit ihrem persönlichen Engagement im politisierten Sorgerechtsstreit um Elian riskiert sie neue Feindschaften. Schon jetzt schlägt ihr von Seiten der Exilkubaner in Miami blinder Hass entgegen. Reno hofft auf eine Lösung, die es ihr gestattet, einen friedlichen Lebensabend in ihrer Heimat zu verbringen. "Sie ist nicht nur Politikerin", sagte eine Freundin dem "Miami Herald". "Sie ist ein echtes menschliches Wesen, stark und couragiert." (APA)