Die Richter des deutschen Bundesverfassungsgerichts haben ein brisantes Urteil gefällt, das die Schwächen gemeinsamen Handelns auf dem Feld der Innen- und Justizpolitik der EU bloßlegt. Sie haben zwar nicht den Europäischen Haftbefehl zur Gänze gekippt, sondern sich darauf konzentriert, die Umsetzung in Deutschland zu kritisieren. Aber gleichzeitig haben sie in ihrem Spruch artikuliert, dass mit solchen Maßnahmen die Grundrechte jedes Bürgers eines Staates empfindlich berührt werden. Denn die EU- Staaten sollen ihre eigenen Bürger an das Ausland ausliefern - selbst wenn die Tat im Heimatland überhaupt nicht strafbar ist. Bisher war die Auslieferung an einen anderen Staat von der Prüfung abhängig, ob die Tat sowohl im ersuchten wie im ersuchenden Staat strafbar ist. Der ausliefernde Staat muss laut den Bestimmungen des EU-Haftbefehls bei bestimmten Delikten wie Mord, Cyber- Kriminalität oder Rassismus- Delikten gar nicht mehr prüfen, ob diese Taten im eigenen Land strafbar sind. Das wirft viele Fragen auf und beschwört Befürchtungen vor Missbrauch geradezu herauf. Das Unbehagen wird durch Bestimmungen wie jene verstärkt: Der Ausgelieferte kann dann in dem anderen EU-Staat sofort in Haft genommen werden, selbst wenn er für das gleiche vorgeworfene Delikt in seinem Heimatland auf freien Fuß gesetzt werden würde. Der Europäische Haftbefehl sollte die bisherige, mitunter komplizierte Praxis der Auslieferung eines in einem anderen Staat gefassten Rechtsbrechers an jenen Staat, der dessen Auslieferung begehrt, ersetzen: Es soll zu einer raschen und unbürokratischen "Übergabe" kommen. Am Beispiel des EU-Haftbefehls lässt sich verdeutlichen, warum vor allem die gemeinsame Terrorbekämpfung - die erst vergangene Woche beim Sondertreffen der EU-Innen- und Justizminister wieder beschworen wurde - in der Union der 25 Staaten so schwierig ist. Denn es fehlt zu allererst die gemeinsame Basis. So gilt der gemeinsame Haftbefehl noch längst nicht in allen Ländern. Die Bestimmungen sollten bis Ende 2003 von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt sein, aber sechs Staaten haben dies noch nicht getan. Österreich hat sich von vornherein eine Sonderbestimmung ausbedungen: Eigene Staatsbürger sollen erst ab 2009 an andere Mitgliedstaaten übergeben werden. Österreich hat auch so viele Ausnahmen durchgesetzt, dass Experten des Wiener Justizministeriums gar nicht damit rechnen, dass der EU- Haftbefehl hier zu Lande überhaupt angewandt wird. Damit ist aber das Ziel, eine einheitliche Vorgangsweise in Europa zu schaffen, Makulatur. Die Intention, die dahinter steckt, dass insbesondere Terroristen keine "sichere Häfen" innerhalb der EU haben dürften, wird damit auch entscheidend konterkariert. Ein weiteres Problem sind die unterschiedlichen Rechtsauffassungen. So ist nicht in jedem EU-Land strafbar, was in einem anderen schon als Delikt gilt. So kann ein Österreicher Bilder mit sexuellen Handlungen von 17-Jährigen ins Internet stellen, was in Österreich theoretisch erlaubt und nicht strafbar ist. In Spanien wäre dies aber strafbar, denn das Schutzalter liegt innerhalb der EU zwischen 16 und 18 Jahren und in der Staat auf der iberischen Halbinsel legt die Bestimmungen dazu streng aus. Theoretisch könnte Spanien einen EU-Haftbefehl ausstellen, wenn Österreich die Bestimmung schon umgesetzt hätte. Auf diesem Feld zeigt sich auch das Dilemma der EU- Kommission. Sie kann im wesentlichen nur an die EU-Staaten appellieren, entsprechende Beschlüsse auch umzusetzen. Sie hat eigentlich keine rechte Handhabe dagegen, wenn sich Mitgliedstaaten einer engeren Zusammenarbeit auf dem Gebiet von Innen- und Justizpolitik verweigern. Es wäre in diesem Fall auch besser gewesen, erst eine einheitliche rechtliche Basis zu schaffen und dann in einem zweiten Schritt einen einheitlichen Haftbefehl durchzusetzen. Das wäre für die gemeinsame Verbrechensbekämpfung effektiver gewesen. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.7.2005)