I

Die so genannte "Causa prima" ist weiß Gott keine Causa, die prima wäre, weder für Österreich noch für Europa. Die Auseinandersetzung über die Frage, ob Österreich und seine Regierung wider den europäischen Geist handelt und ob hierzulande schwerere Menschenrechtsverletzungen oder rassistischere Äußerungen toleriert werden als in anderen europäischen Ländern, tendiert zunehmend zu einem seltsamen Prestigespiel - zwischen der Bundesregierung, der Opposition und den EU-Regierungen, die Österreich mit Sanktionen belegten.

Erklärungsbedarf

Wie üblich in solchen Situationen spricht keine der am Spiel beteiligten Parteien die volle Wahrheit. Beginnen wir bei Österreich selbst:

Es würde zweifellos dazu beitragen, die Stimmung im Land abzukühlen, die Handlungsmöglichkeiten der Regierung realistischer zu beurteilen sowie auch deren Glaubwürdigkeit nach außen hin zu stärken, wenn man der österreichischen Bevölkerung einmal nüchtern erklären würde, wieso in Europa in weiten Teilen der politischen Öffentlichkeit so große Befürchtungen entstanden sind: Indem man deren Wurzeln in der ferneren Vergangenheit benennt, zugleich aber auch darlegt, wie in den letzten zehn Jahren - nicht nur durch diverse Äußerungen Dr. Haiders sondern auch durch das Verhalten früherer Bundesregierungen gegenüber unseren Nachbarn bzw. durch den Umgang österreichischer Behörden mit Fremden Misstrauen gesät wurde. (Von der für Außenstehende verwirrenden österreichischen Politik im ehemaligen Jugoslawien und der Nato gegenüber einmal abgesehen).

Insbesondere das Verhalten gegenüber EU-Kandidaten, die sich zu Recht durch Geschichte, Kultur, Mentalität und Abstammung Österreich am engsten verbunden fühlen, ließ in Europa Zweifel aufkommen, dass dieses Land den Herausforderungen, die Vergangenheit und Gegenwart an uns stellen, offen und vorurteilsfrei begegnet.

Wenn darüber hinaus die österreichische Opposition sich eingestehen würde, dass die derzeitige österreichische Bundesregierung, wie sehr man deren Protagonisten oder Jörg Haider und seine Partei auch ablehnen mag, einwandfrei auf demokratische Weise zustande gekommen ist, und dass nicht ein perverser Ehrgeiz Wolfgang Schüssels, sondern die bereits seit langem bestehende Sprachlosigkeit zwischen den früheren Koalitionsparteien, das Verhalten der SPÖ gegenüber ihrem Juniorpartner und der Erstarrungsprozess der letzten Jahre den Wandel in der österreichischen Politik herbeigeführt haben, wäre schon ein großer Schritt in Richtung einer gemeinsamen Basis für eine demokratische Debatte getan.

Offenheit gegenüber Fremden im Land und gegenüber unseren Nachbarländern wird nicht dadurch erreicht, dass man den Druck von außen begrüßt, sondern indem man sich der zugestandenermaßen mühsamen Aufgabe unterzieht, Überzeugungsarbeit im Inland zu leisten - vor allem in den eigenen (Partei-)Reihen.

Instrumentalisierung

Zum dritten Teilnehmer im Prestigespiel: Es wäre gut, wenn in einigen Ländern der Europäischen Union etwas offener darüber gesprochen würde, dass die Maßnahmen gegen die Republik Österreich und die daraus erwachsenen Konsequenzen selbstverständlich weit über das, was offiziell angekündigt wurde, hinausgehen. Natürlich sind die Maßnahmen der EU-Länder gegen Österreichs nicht nur bilateraler Natur, und selbstverständlich treffen sie nicht nur die Regierung. Vielmehr hat der politische Druck sowie die Art und Weise, wie über Österreich gesprochen und geschrieben wurde, dazu geführt, dass Österreich tatsächlich innerhalb der EU in seinen Möglichkeiten beschränkt und brüskiert wird, und dass viele österreichische Institutionen oder auch Unternehmen und Einzelpersonen von den Auswirkungen betroffen sind.

Es wäre auch richtig, einzugestehen, dass manche Verzerrungen der Realität entstanden sind, weil Österreich - so schmerzhaft diese Feststellung sein mag - in Europa kein sehr wichtiges Land und infolgedessen der Informationsstand über Österreich überaus gering ist, und dass dieser Umstand die Instrumentalisierung des Regierungswechsels in Österreich für die jeweiligen innenpolitischen Zwecke in Deutschland, Frankreich, Belgien, etc. wesentlich erleichtert hat.

Nicht durchdacht

Die Tatsache, dass im Europaparlament einige Abgeordnete den Bundespräsidenten, dem man bei Gott keine Förderung oder gar Propagierung der jetzigen Koalition unterstellen kann, ausbuhen, dass, wie man hört, sogar gegen seine Anwesenheit bei wesentlichen internationalen Begegnungen interveniert wird, und dass eine Institution, die in Wien aus gemeinsamen Geldern der Europäischen Union mit einem wesentlichen Beitrag Österreichs geschaffen wurde, die österreichische Außenministerin höchst unhöflich behandelt - das alles spricht dafür, dass Entscheidendes verabsäumt wurde: ein Unternehmen, das teils aus echten Befürchtungen und respektablen Emotionen, teils aus jeweils höchst egoistischen innenpolitischen Gründen gestartet wurde, auch in seinen möglichen Konsequenzen hinreichend zu bedenken.

Leider nährt diese Vorgangsweise nämlich - nicht nur bei den kleineren Staaten - Skepsis hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Europäische Union und den Verdacht, dass hier nur eine Machtprobe vorexerziert und versucht wurde, am falschen Objekt die falschen Maßnahmen zur falschen Zeit durchzusetzen.

Wenn man in den letzten Wochen die Möglichkeit gehabt hat, quer durch Europa zu reisen, die Äußerungen der verschiedenen Politiker in den verschiedenen europäischen Ländern zur Zuwanderung in Europa, zur Asylproblematik etc. zu lesen oder zu hören, dann wird einem klar, dass bedauerlicherweise nicht einmal die Töne Haiders in Europa einzigartig sind. Sehr viel von dem, was Haider artikuliert und sich in seinem jähen politischen Aufstieg manifestiert hat, ist in ganz Europa ein virulentes Problem. Die Isolierung Österreichs bot die Möglichkeit, sich Problemen, die jedes der wortführenden EU-Länder zu Hause hat, dort zu stellen, wo es nicht schmerzt - in einem anderen Land.

Eine Diskussion, die vom Standpunkt geführt wird: Wir sind unfehlbar und ihr müsst erst beweisen, dass ihr nicht schuldig seid, kann daher auf die Dauer nicht fruchtbar sein.

II

Was schließlich die spezielle Frage nach der Rolle der Intellektuellen in dieser Debatte betrifft, nur drei kurze Anmerkungen.

Erstens: Die Diskussion wurde viel zu sehr durch die politisch vorgegebene Ausgrenzungsthese beherrscht: Nicht die Frage, was zu unternehmen ist, damit Haiders Demagogie keinen Anlass findet und seine Attraktivität verringert wird, oder wie man Vorurteile und Ängste auflösen kann, sondern unreflektierte Reaktionen und Selbstdarstellungen waren die Leitgedanken.

Gut gemeint

Zweitens: So sehr Vergangenheitsbewältigung nötig und wichtig ist, so unzulänglich erweist sie sich für die Erklärung bzw. Bewältigung der heutigen Situation. Jörg Haider ist fünf Jahre nach dem Krieg geboren, die überwiegende Mehrheit seiner Wähler und Anhänger ebenso. Deren Beweggründe resultieren denn auch großteils mehr aus der innenpolitischen Situation der letzten zehn Jahre als aus der braunen Vergangenheit der Großeltern.

Drittens: Es wäre ein ernüchterndes Resultat für alle, die sich in den vergangenen Wochen mit großem Einsatz und starken Worten gegen Haider und seine Regierungsbeteiligung gewandt haben, feststellen zu müssen, dass die durch Wolfgang Schüssel erfolgte Einbindung der Freiheitlichen in die Regierungsverantwortung und die Beschränkung ihres Führers auf Kärnten das Phänomen Haider seines Zaubers entkleidet und die FPÖ wieder zu einer Partei durchschnittlicher Attraktivität machen würde.

Vielleicht wächst zwischen den Regierungsmitgliedern der FPÖ sogar eine weniger demagogische und sich im Rahmen des allen österreichischen Parteien eigenen Populismus bewegende Alternative zu Haider heran?

Im übrigen - es war der österreichische Intellektuelle schlechthin, Karl Kraus, der schrieb: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut ...
Fürst Karl Schwarzenberg, Jg. 1937, Unternehmer, ehemals Präsident der "Internationalen Helsinki-Föderation" und Anfang der 90er-Jahre Kabinettschef des tschechischen Präsidenten Václav Havel, lebt in Wien; im März dieses Jahres initiierte der Autor gemeinsam mit dem Londoner Verleger Lord George Weidenfeld und dem Direktor des Instituts für die Wissenschaft vom Menschen, Krysztof Michalski, eine dem Geiste dieses Artikels verpflichtete Resolution, die u. a. von Simon Wiesenthal, Luc Bondy, Rudolf Burger und Erika Weinzierl unterzeichnet wurde.

* Diesem Thema ist auch das kommende "Montagsgespräch" des
STANDARD gewidmet. Es diskutieren: Isolde Charim, Konrad Paul Liessmann, Doron Rabinovici und Armin Thurnher
(Palais Trauttmannsdorf,
17. April, 19. 30 Uhr)