Verfolgt man die Diskussion über den "Ansturm" der studierwilligen Jugend Europas auf österreichische Studienplätze, fühlt man sich manchmal in die Zeit der Awaren- und Türkeneinfälle voriger Jahrhunderte zurückversetzt. Die Entwicklung in der Folge der Aufhebung der heimischen Zulassungsbedingungen durch den EuGH wird fast ausschließlich negativ interpretiert, nachgedacht wird allein über Maßnahmen zur Eindämmung der "Flut". - Stellt sich nur die Frage, ob dieses "Problem" nicht auch ganz anders gesehen und - bei entsprechendem Weitblick - auch behandelt werden könnte.

Zur Ausgangslage: 1. Unsere Universitäten stehen seit längerem im Mittelpunkt des medialen Interesses. Zentrale Stichworte: Studiengebühren, Organisationsreform, Geldnot, mangelnde Personal- und Raumausstattung ...

2. Daneben floriert ein stetig wachsender Sektor an Fachhochschulen mit durchaus bemerkenswerten Ratings der Absolventen in der Wirtschaft. Auch private Universitäten fassen in Österreich - holprig und langsam, aber doch - Fuß.

3. Österreich, insbesondere Wien, genießt, was Lebensqualität, Ausbildung, und Sicherheit betrifft, ein beachtliches internationales Renommee. Und auch wenn wir unsere Rolle als "Brückenbauer" zwischen Ost- und West oft etwas überschätzen, hat die Sache doch einen wahren Kern: Dass sich immer mehr Firmenzentralen in Wien ansiedeln, geschieht sicher nicht aus Begeisterung über das hiesige Niveau der Lohnnebenkosten.

In Summe ergibt das eine Konstellation, die durchaus zukunftsträchtig ist - wenn man zur rechten Zeit das Richtige tut. Ich behaupte: Wenn wir uns jetzt dazu entscheiden, die "drohende" Überschwemmung mit europäischen Studenten als Chance zu sehen, könnten wir damit einen wahren Höhenflug unseres Landes im Bereich Wissenschaft und Forschung einleiten: Bauen wir Universitäten bis zum Abwinken! Laden wir private Universitätsbetreiber ein, bei uns ihre Zelte aufzuschlagen! Bieten wir - zumindest in den ersten fünf Jahren nach Zuzug - Steuererleichterungen für Hochschulangehörige an! Jeder europäische Student (warum eigentlich nur die?) soll kommen können.

Umwegrentabilität

Im Ernst: Hat sich schon einmal jemand ausgerechnet, was Studenten einer Stadt an Umwegrentabilität und Vitalität bringen können? Wer schon einmal Harvard, Stanford, aber auch ganz "normale" Universitäten in den USA besucht hat, wird festgestellt haben, dass das (auch) ziemlich große Wirtschaftsbetriebe sind. Wäre es also nicht an der Zeit, einmal zu prüfen, ob es nicht vernünftiger ist, die x-te Subvention zum Überleben einer lokalen Socken- oder Semmelfabrik besser in den Aufbau neuer Universitätsinstitute zu stecken? Um nicht missverstanden zu werden: Wir sprechen hier nur über Investitionen zur Initialzündung. Denn wenn dieser Zug tatsächlich ins Fahren kommt, wird vieles auch ganz von selber entstehen.

Und was Wiens Ängste betrifft, dass "intelligente" Unternehmen aus dem Bereich Biotech und ähnlichen hippen Technologien der Zukunft entweder abwandern (Baxter) oder gar nicht erst kommen: Sollte es uns gelingen, Österreich zum "Universitätseldorado" Europas zu machen, brauchen wir uns über dieses Thema sicher keine Sorgen mehr zu machen.

Wer es nicht glaubt, möge einmal schauen, wo Hochtechnologie, Biotech und all die Hoffnungsträger der Zukunft in den USA vornehmlich angesiedelt sind.

Was ist zu tun? Erstens: aufhören, uns zu fürchten, und einmal zu rechnen beginnen: Was würde es kosten, so und so viele Studenten im Land aufzunehmen und ihnen Studienplätze anzubieten? Vor allem aber: In welcher Relation stehen diese Kosten zu den Förderungen, die Unternehmen zum Forschen animieren bzw. Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen ins Land lotsen sollen?

Zweitens sollten wir rasch damit beginnen, die erforderlichen Kapazitäten aufzubauen. Drittens sollten wir Standorte "clustern". Wo möglich, sollte mehr als eine Universität oder Fachhochschule an einem Ort oder zumindest in akzeptabler Nähe etabliert werden. Das fördert den Wettbewerb und die Vielfalt des Angebots. Und: Zumindest in der Zeit des Aufbaus muss der Zuzug universitären, wissenschaftlichen Personals gefördert werden (siehe oben) und offen gestaltet sein. Es muss attraktiv sein, in Österreich eine Berufung anzunehmen.

Conclusio: Gefordert ist ein Paradigmenwechsel in der Universitätspolitik. Mit der bewussten - ja, vorerst auch kostspieligen - Öffnung unserer Universitäten nach Europa mittels Ansiedelung zusätzlicher Universitäten (und Fachhochschulen) beziehungsweise durch Ausbau bestehender Institutionen können wir zum akademischen Hot Spot des Kontinents avancieren. Die Unternehmen werden uns die Türen einrennen ... (DER STANDARD-Printausgabe, 20.7.2005) *