Design, von allen Seiten beleuchtet, bietet die Sendung "360°" auf CNN. Im Bild die Orangenpresse von Philippe Starck.

Grafik: Der Standard/Beigelbeck

Wo sonst über Erdbeben und andere Katastrophen berichtet wird, nämlich auf CNN, gibt es Woche für Woche eine halbe Stunde "Design 360°", eine exklusive Nachrichtensendung aus der Welt des Designs. Die Sendereihe, die wöchentlich sonntags um 9.30 Uhr und 20.30 Uhr und samstags um 17.30 Uhr ausgestrahlt wird, zeigt Design als globale Rundumerfahrung. Mode, Industrial Design und "Gadgets, die das Leben effizienter machen", werden in der von CNN Europe in London produzierten Schau vorgestellt, die Perspektive ist global. Der von Aga Khan gestiftete Preis für islamische Architektur findet ebenso Beachtung wie der bunkerartige Nachtklub B018 des libanesischen Architekten Bernard Khouri in Beirut.

Und doch ist der Blick auf die Welt stark britisch gefärbt: Das galt für die Pilotfolge, die anlässlich der damaligen Fußballweltmeisterschaft die designaffine englische Mannschaft und ihren Lifestyle-Star David Beckham feierte. Auch für eine aktuelle Ausgabe, die um das Thema Biedermeier kreiste, galt: Relevant ist, was in London passiert. Etwa die Gründung der neuen Möbelmarke "Established & Sons" durch Alasdhair Willis, die erstmals auf der Mailänder Möbelmesse präsentiert wurde. Die erste Kollektion versammelt alles, was im britischen Design Rang und Namen hat, Pritzker-Preisträgerin Zaha Hadid ist mit ihrem Aqua-Tisch vertreten, der circa 80.000 Dollar kosten soll und aussieht wie ein Stück Blob-Architektur. Nebenbei: Preise sind wichtig bei "Design 360°", denn sie machen klar, dass es hier nicht um die Bastelstunde, sondern um Business geht.

Amanda Levete von Future Systems steuert eine teils geschwungene...

... teils schwebende Neuinterpretation des Chesterfield-Sofas mit charakteristischen Abnähern und lederbezogenen Knöpfen zur Established-&-Sons-Kollektion bei. Dumm nur, dass die Kamera ein bisschen zu nah an das Objekt zoomt und die wenig professionell verarbeiteten Nähte sichtbar werden. Im Interview mit Jungunternehmer Willis, der sich bereits als Mitbegründer der britischen Trendbibel "Wallpaper" einen Namen machte, erfahren wir, wie schwer es ist, für ein solch anspruchsvolles Projekt in England geeignete Werkstätten zu finden. Willis, der mit Modemacherin Stella McCartney verheiratet ist, bringt jenes Quäntchen Glamour mit, das in vielen Berichten von "Design 360°" aufscheint und Design in erster Linie als elitäres, teueres Vergnügen erscheinen lässt.

In der Folge über Biedermeier dient freilich Wien als Kulisse. Hier trägt Moderatorin Monita Raipal ihre Überleitungen vor und besucht den Biedermeier-Experten des Dorotheums, Alexander Doczy. Wer Informationen über Orte, Plätze und Personen erwartet, die mit der Epoche des Biedermeier in Wien verknüpft sind, wird enttäuscht. Wir sind im Nachrichtenkanal, nicht im Feuilleton! Neben ein paar Schwenks über die Silhouette der Stadt gibt es noch Bilder einer alten Tram, die durch die Straßen gleitet. Die Helden der Sendung sind Antiquitätenhändler aus London.

Rupert Cavendish erklärt uns, dass die Epoche des Biedermeier nach der Niederlage Napoleons bei Waterloo begann und die Möbel jener Zeit heute als Vorläufer der sachlichen Entwürfe des 20. Jahrhunderts gelten. Cavendish erzählt, wie schwer es ist, Biedermeier-Doppelbetten zu bekommen, und dass er sich deshalb auf Bitten einer Kundin auf Nachschöpfungen von Biedermeier-Möbeln spezialisiert hat.

Sein Kollege Mark Lock führt über den Flohmarkt an der Porte de Clignancourt bei Paris. Er meint, dass man am besten freitags vor Tagesanbruch dort Geschäfte macht, weil dann die Händler ihre neue Ware anliefern und keine Touristen im Weg stehen. Schließlich erwirbt Lock zwei Sessel aus der Zeit Napoleons III., für 710 Dollar. Nachdem er sie repariert, restauriert und neu gepolstert hat, wird er sie auf der Londoner Church Street für 4000 Dollar anbieten. "Ein paar moderne Sessel kosten mindestens so viel", behauptet Lock, doch böten diese keinen vergleichbaren Gegenwert.

Außerdem werden in der Rubrik "Prototype" die exklusiv puristischen Möbel des Londoner Designers Paul Kelley vorgestellt. Kelley, der sich von Donald Judd inspirieren ließ, verwendet Lack und hochpoliertes Kupfer für seine Möbelskulpturen. Und dann ist die halbe Stunde "Design 360°" schon wieder vorbei. Das Programm läuft auch im Bordprogramm mancher Fluglinien. So informiert die Sendung in aller Welt über aktuelle Designtrends - so gut wie nichts allerdings über Wien und die Epoche des Biedermeier. (Thomas Edelmann/Der Standard/rondo/22/07/2005)