Man mag zu Zugangsbeschränkungen auf unseren Universitäten, zur "Betreuung" von Massen deutscher Studierender durch die österreichischen Steuerzahler, zu Knockout-Prüfungen, Ressourcenmangel usw. stehen, wie man will - aber ein kleines Detail der Debatte zu diesen Themen erscheint mir aus erziehungswissenschaftlicher Sicht doch bemerkenswert - um nicht zu sagen pikant:

"Numerus clausus kommt nicht infrage!", schallt es unisono aus den Mündern von Kanzler, Bildungsministerin, und Rektoren. Dieses Unding von Matura-Notendurchschnitt hat bei uns im kultivierten Österreich kein Leiberl! Also kann doch bzw. muss mit diesen Noten, aus denen der böse Durchschnitt gewonnen wird, irgendetwas nicht stimmen! Ja was kann denn das sein? Vielleicht die Ziffernnote selbst?

Genau diese verteidigt aber konservative Bildungspolitik seit Jahrzehnten mit Zähnen und Klauen - und selbst der ehemalige Vizekanzler und Unterrichtsminister Erhard Busek, ansonsten ein sehr gebildeter Mensch, sagte einmal - von einem Journalisten auf die Abschaffung der Ziffernnote befragt: "Dann lernen S' ja nix mehr!" Nun: Natürlich ist das Gegenteil tausendfach bewiesen - aus Alternativschulsystemen, aber auch aus Schulversuchen im Regelschulsystem. Und wenn ich mich nicht täusche, ist der renommierte österreichische Schulpädagoge Rupert Vierlinger (Uni Passau) - ein inbrünstiger Bekämpfer der Ziffernnote - einst sogar aus dem ÖABB ausgetreten, weil die Kollegenschaft sich jeglicher Suche nach sinnvollen Alternativen verweigerte.

Ziffernnotengegner (ich spreche aus Erfahrung) wurden bei ihren Bemühungen um Veränderung auch der "sozialistischen Gleichmacherei" bezichtigt, als "leistungsfeindliche" Förderer einer "Kuschelpädagogik" usw.

Anachronismus

Dagegen fordern noch heute große Tageszeitungen im Westen Österreichs Kinder und Eltern auf, die "Lauter-Einser-Volksschüler/innen" samt Bild zu melden, um sie öffentlich zu ehren - ein pädagogischer Anachronismus, der eigentlich eine Schande ist: Denn wir wissen längst, wie unterschiedlich z.B. ein und dieselbe Schularbeit von verschiedenen Lehrern benotet wird, sodass diese Noten also weder objektiv noch gerecht sind. Und jedes Jahr zur Zeugniszeit müssen wegen der fatalen Signalwirkung von "Fünfern" Krisentelefone geschaltet werden, damit die so Stigmatisierten keinen Unfug anstellen. Welch großartige, kinderfreundliche Bewertungskultur!?

Und nun gestehen die führenden Politiker/innen - ungewollt und indirekt, aber doch, worin ja die Pikanterie liegt - ein, dass diesem Instrument leistungsbornierter Pädagogik offenbar zutiefst zu misstrauen ist. Es geschehen wirklich noch Zeichen und Wunder am Himmel österreichischer Bildungspolitik! (DER STANDARD-Printausgabe, 23./24. Juli 2005)