Harald Leupold-Löwenthal hat viel geleistet, daher glaubt er bis heute, sich auch viel leisten zu können. Seine Verdienste um die Sigmund-Freud-Gesellschaft sind unbestritten. Er ist dieser Gesellschaft mehr als zwanzig Jahre als Präsident vorgestanden, er hat das Museum in der Berggasse 19 eingerichtet und damit beständige Feindschaft zum Londoner Freud-Museum errichtet. Erst durch eine internationale Ausstellungskooperation, initiiert von der Library of Congress in Washington, konnte wieder eine Gesprächsbasis mit London geschaffen werden, die sich in der gemeinsamen Ausstellung zu Freuds Antikensammlung 1997 "Meine alten und dreckigen Götter . . ." gefestigt hat.

Auf das Interesse eines breiten Wiener Publikums stieß dann 2003 die Ausstellung "Freuds verschwundene Nachbarn". Erstmals wurde die Geschichte der Bewohner des Hauses Berggasse 19 nach Freuds Emigration gezeigt und damit die Fragestellung der Restitution aktuell für den Ort Berggasse 19 aufgegriffen.

Kuratorin war die wissenschaftliche Leiterin der Sigmund-Freud-Privatstiftung, Lydia Marinelli. Dies wäre ohne die von Harald Leupold-Löwenthal als Präsident forcierte "Kleinarbeit" - Aufbau der Bibliothek und des Archivs sowie etlicher Forschungsprojekte - nicht möglich gewesen.

Es waren allerdings fast immer Mitglieder der Wiener psychoanalytischen Vereinigung, die diese Forschungsprojekte durchgeführt haben. Diese personelle Verschränkung der beiden Vereine barg ein Konfliktpotenzial in sich, die zahlreichen Reibungsverluste belasteten vor allem die Sigmund-Freud-Gesellschaft. Eine Entkoppelung dieser beiden Institutionen war darum notwendig - und sie gereicht der Sigmund-Freud-Gesellschaft zum Wohle und darüber hinaus auch der 2003 gegründeten Privatstiftung.

Eine Kulturinstitution wie das Sigmund-Freud-Museum kann und will es sich nicht leisten, zum selbst ernannten Gralshüter einer Therapieform zu werden, die heute weltweit heftig in Diskussion steht. Das ist den jeweiligen nationalen Ausbildungsinstitutionen, nämlich den psychoanalytischen Vereinigungen vorbehalten. Dass innerhalb dieser Interessengemeinschaften gestritten wird, ist historisch gut dokumentiert - und daran hat sich bis heute wenig geändert.

Die Sigmund-Freud-Privatstiftung wird im Herbst 2005 ein in internationaler Kooperation erarbeitetes EU-Projekt, geleitet von Christian Huber, vorstellen: eine Internetdatenbank zur Geschichte der Psychoanalyse, zusammen mit dem Wellcome-Trust London und der Ferenczi-Gesellschaft Budapest.

Voraussetzung dafür sind die profunde wissenschaftliche Vernetzung der Stiftung und kompetente Mitarbeiter. Dass diese nicht notwendigerweise Psychoanalytiker, sondern Historiker und Kulturwissenschaftler sind, ist von Vorteil.

Sie sind damit aus der Geiselhaft des "Patientenverhältnisses" und der "Vereinstreue" freigestellt und können für die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse von Forschungsprojekten sowie der sie betreuenden Institution garantieren.

Wien, wie es ist

In den letzten Jahren hat sich erwiesen, dass sich der enigmatische Ort Berggasse 19 aus den Grabenkämpfen rivalisierender psychoanalytischer Vereinigungen und Richtungskämpfen in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung herauslösen konnte und diesen Kurs beibehält. Innerhalb der lokal praktizierten und inzwischen international belächelten Wiener Neidkultur wird das nur ungern gesehen.

Psychoanalyse lässt sich per se schwer ausstellen. Daher wird die Ausstellung: "Die Couch: Vom Denken im Liegen" im kommenden Jahr entlang der Geschichte eines Möbels historische Wurzeln des psychoanalytischen Settings aufzeigen und auf die aktuellen Bezüge verschiedener Therapieformen verweisen.

Ich hoffe, dass Harald Leupold-Löwenthal bei der Wiener Vorlesung im März 2006 anwesend sein und sein Augenmerk auf das Fragezeichen im Titel "Die süßen Mädel des Herrn Professors?" legen wird. Ich hoffe auch, dass er eine der Tugenden mitbringen wird, die erst einen freien Blick auf menschliches Wissen ermöglicht: die Neugierde. Sie war auch für Sigmund Freud eine lebensbewegende Antriebskraft gewesen.

Dieser Kultur sollten sich darum auch vor allem Psychoanalytiker verpflichtet fühlen. Alles andere wollen wir als Missverständnis eines um die "reine Lehre" besorgten Grand Seigneur der Psychoanalyse deuten.

Si tacuisses . . .

Unsere Presseankündigungen sollen neugierig machen, man möge sich überraschen lassen. Aktuelle Vermittlungsformen im Kulturbereich und deren Sponsoren von vornherein zu diskreditieren, ist kurzsichtig - auf diesem Felde findet man, auch aus den bekannten Budgetnöten, fast alle Kultur-, Wissenschafts- und anderen Vereine.

Wir wollen im Sinne der historischen Aufklärung und deren Bildungsstrategien vor allem auch beharrlichen Vorurteilen entgegentreten.

Eine Aufgabe des Sigmund-Freud-Museums ist es darum, eine interessierte Öffentlichkeit über Leben und Werk Sigmund Freuds zu informieren, Forschung dazu zu initiieren und Raum für eine konstruktive Konfliktkultur zu ermöglichen. Wenn auch in Wien diese Tradition durch die Auswirkungen des Holocausts zunächst abgerissen war, so gilt es heute erst recht, diese Chance erneut zu ergreifen. Daher versteht sich das Museum in der Berggasse 19 mehr denn je als Ort, der die Herausforderung an aktuelle Fragestellungen zur Wirkmächtigkeit der Psychoanalyse im sozio-kulturellen Kontext des 21. Jahrhunderts annimmt und eine solche Diskussionskultur einfordert.

Es ist nur allzu menschlich, dass nicht immer alle Beteiligten diesem Anspruch gerecht werden können. Oder um in der Tradition Freuds zu sprechen: "Si tacuisses, philosophus mansisses." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25. 7. 2005)