Am 9. Juli abends, gerade als US-Außenministerin Condoleezza Rice zu ihrem China-Besuch aus dem Flugzeug stieg, kam über die amtliche Nachrichtenagentur KCNA eine Vierzeilenmeldung, die weltweit Aufmerksamkeit erregte: Verkündet wurde, dass Nordkorea beschlossen hat, wieder an den Sechs-Parteien-Gesprächen teilzunehmen.
Für alle, die sich um eine friedliche Lösung der Nuklearfrage sorgen, ist das eine gute Nachricht. Denn seit 10. Februar, als Nordkorea sich offiziell zum Atomstaat erklärte und seine Teilnahme an den Sechser-Gesprächen auf unbestimmte Zeit suspendierte, gingen Nordkorea und die USA auf Konfrontationskurs, und die Lage wurde zunehmend kritischer.
Es ist nicht zu übersehen, wie sehr sich seither die USA auf den Kriegsfall mit Nordkorea vorbereiten: Am 19. Februar berieten sie mit Japan über eine Zusammenarbeit bei der Kontrolle und Abwehr der "Proliferation von Atomwaffen". Am 5. März gaben die USA bekannt, auf der pazifischen Insel Guam B-2-Stealth-Bomber stationieren zu wollen, am 13. April folgte die Meldung, dass das bereits geschehen sei. Am 27. April verlangte US-Verteidigungsminister Rumsfeld vom Kongress Mittel, um untersuchen zu lassen, wie die USA gegen unterirdisch gelagerte Atomwaffen in Nordkorea vorgehen könnten. Der Kongress gab grünes Licht. Am 30. April wurde bekannt, dass die USA von Japan verlangten, Munitionsdepots anzulegen. Am 9. Mai meldeten US-Militärzeitungen, dass in Südkorea von den USA multifunktionale Flugverbände aufgebaut werden. Am 25. Mai stellten die USA plötzlich ihre Nachforschungen nach ihren während des Koreakriegs gefallenen und verschollenen Soldaten ein und zogen ihre Suchexpedition aus Nordkorea zurück – angeblich um zu vermeiden, dass ihre Leute im Konfliktfall als "Geiseln genommen werden". Am 26. Mai verkündeten die USA ihre Absicht, 15 F-117-Stealth-Bomber und 250 Mann zur Bodenunterstützung in Südkorea zu stationieren, zehn Tage später meldeten sie die Aufnahme des Flugbetriebs, um sich "mit der Region vertraut zu machen". Am 4. Juni einigten sich die USA und Südkorea auf einen gegen Nordkorea gerichteten "Kriegsplan 5029".
Die USA machten um ihre Aktivitäten zwar kein großes Aufheben, doch war für jeden unverkennbar, wie intensiv sie sich darauf vorbereiten, für den Fall eines Scheiterns der Sechser-Gespräche Stärke zu demonstrieren.
Die Zeit drängt
Vieles spricht dafür, dass sich die USA für diese Gespräche eine Frist gesetzt haben: Sollte Nordkorea nicht bis Ende August ein klares Versprechen zur Aufgabe seiner Atomwaffen abgegeben haben, würden die USA die vierte Runde für gescheitert erklären und das Problem voraussichtlich noch im September in der UN-Vollversammlung thematisieren, um im Sicherheitsrat einen Sanktionsbeschluss herbeizuführen. Danach würden sie wohl versuchen, mit militärischer Unterstützung anderer Staaten einen Boykott durchzusetzen, Nordkorea würde sich wehren – und die USA hätten Anlass zum gewaltsamen Vorgehen.
Wir können daraus zumindest eines schließen: Die nordkoreanische Atomfrage steht an einem Wendepunkt. Die neue Verhandlungsrunde darf deshalb nicht scheitern.
Um den schlimmsten Ausgang zu vermeiden, lässt sich nur hoffen, dass alle beteiligten Parteien sich des Ernstes der Lage bewusst sind und die Verhandlungen ernsthaft führen – also nicht reden, um des Redens willen sondern mit dem klaren Ziel, eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel zu erhalten. Und das so rasch als möglich. Denn die Zeit drängt.
Von China aus gesehen wären die regionalpolitischen Auswirkungen eines atomargerüsteten Nordkorea jedenfalls schlimmer als die Atomfrage Pakistans und Indiens. Nordkorea liegt zu nah an den Kerngebieten und den entwickelten Regionen Ostchinas. Abgesehen von der Gefahr eines nuklearen Zusammenstoßes oder eines Atomkrieges wäre schon ein atomarer Unfall eine Katastrophe.
In der neuen Verhandlungsrunde müssen die USA und Nordkorea natürlich direkt miteinander reden. Da die Atomfrage Nordkoreas aber die Sicherheitsinteressen der ganzen Region berührt, sollten alle wichtigen Entscheidungen im Rahmen der Sechser- Gespräche fallen und von allen Beteiligten mitgetragen werden. Wir sollten dabei aus den gescheiterten Vierer-Gesprächen 1997 bis 1999 lernen. Damals verhandelten die USA und Nordkorea nicht nur Rahmen der "Vier" sondern auch bilateral – wodurch die Vierer-Gespräche ausgehöhlt wurden und schließlich eingestellt wurden.