Was sich derzeit zwischen den beiden Koalitionsparteien abspielt, würde unter normalen Umständen als eine schwere Regierungskrise interpretiert werden. Aus dem Dissens in zwei Kernfragen - der Haltung in der Europa- und der Steuerpolitik - ließe sich ableiten, dass die beiden nicht miteinander können und dass alsbald Neuwahlen anstünden.

Dass kaum jemand mit diesem Szenario rechnet, zeigt die Verschiebung der Skala, was man noch für normale Umstände hält: Es ist irgendwie ganz normal geworden, dass die kleinere Koalitionspartei ganz andere Aussagen macht als die Kanzlerpartei; man registriert das mehr oder weniger aufmerksam und vergisst es rasch wieder - schließlich weiß man, dass auch noch so ernst gemeintes Aufbegehren der orangen Truppe letztlich kaum etwas bewirken kann.

Schließlich hat auch früher das Aufbegehren der FPÖ kaum je etwas bewirkt - und das eine Mal, als die FPÖ vor inzwischen drei Jahren den Konflikt um die Steuerreform auf die Spitze getrieben hat, hat sie Hemd und ^Hosen dabei verloren. Und die Reform ist keinen Tag früher ^gekommen, als die ÖVP wollte.

Nein, nein, ganz so ernst, ganz so dringlich sei es ohnehin nicht gemeint, beschied der einst als FPÖ-Chef glücklose Herbert Haupt am Mittwoch: Aber über eine weitere Reform, vielleicht 2007, da sollte man doch bitte schon jetzt verhandeln. In einem Koalitionsausschuss, bitte, bitte. Aber nein, so was gibt’s doch gar nicht, ließ die ÖVP ihren kleinen, lästigen Partner wissen.

Der soll arbeiten, soll das Gemeinsame (wenn er will: auch den eigenen Anteil an diesem Gemeinsamen) fein preisen und ansonsten Ruhe geben. Ruhe geben, still arbeiten und das Erreichte loben - daran haben sich die orangen Funktionäre in den letzten Monaten so wenig gewöhnen können wie zu der Zeit, als sie noch blau waren.

Verzweifelt versuchen sie, durch Aufbegehren irgendwie aufzufallen - aber selbst wenn sie sagten "Dann springen wir eben ab", wird man ihnen frühestens glauben, wenn sie die Drohung wahr gemacht haben. Nicht nur der Bundeskanzler scheint davon auszugehen, dass ein solcher Absprung des kleinen Partners diesen ins Nichts führen würde - weshalb er gar nicht passieren dürfte. Und wenn schon: Dann wird eben neu gemischt, dann wird eine andere Farbe ausgespielt. Schwarz bliebe in des Kanzlers Kalkül jedenfalls Trumpf. (DER STANDARD, Printausgabe, 28.7.2005)