Nach dem Bombenterror in London und Sharm el-Sheikh, nach den Attentaten in den Niederlanden und in der Türkei werfen Analytiker schon die Frage auf, ob die letzten Anschläge den Beginn einer "internationalen Offensive der Djihadisten" aus dem Irak markieren, den Anfang jenes "dezentralisierten urbanen Kriegs", den ein Stratege des islamistischen Terrors, Mustafa Nasser, laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen im vergangenen Jahr in einem Geheimdokument angekündigt haben soll.

Die Botschaft der Bomben lautet: Niemand soll sich irgendwo sicher fühlen können; wir erwischen euch überall. Die historische Erfahrung zeigt, dass der Westen der Spirale der Gewalt nicht schutzlos ausgeliefert ist. Ein breiter gesellschaftlicher Konsens über die Ziele und die Methoden der Abwehr durch den eigenen Staat ist freilich unerlässlich. Nicht nur die Israelis haben in den vergangenen Jahren der Bedrohung gelernt, mit der Gefahr der Bomben zu leben. Auch die Briten haben jahrzehntelang mit den Angriffen der IRA, die Spanier mit den Attacken der Eta und die Deutschen mit denen der RAF (Rote-Armee-Fraktion) gelebt.

Es gibt allerdings gravierende Unterschiede hinsichtlich der Dimensionen und der Wurzeln des von zerstörerischem religiösem Wahn motivierten Terrorismus. Im Gegensatz zu den, freilich auch verdammenswerten, Aktionen der IRA und der Eta, der Kurden oder der Tschetschenen finden wir bei den Selbstmordattentätern und ihren Auftraggebern aus der islamischen Welt keine rational erklärbaren Ziele. Die Terroristen wollen in ihrer mörderischen Fantasie unsere moderne Gesellschaft in die Luft sprengen, mit dem globalen Ziel, einen Gottesstaat zu errichten. Die islamischen Extremisten haben außer Chaos und Tod nichts zu bieten.

Was aber selbst wohlmeinende Beobachter erschüttert, ist die Tatsache, dass ein erschreckend hoher Anteil unter den Muslimen - etwa in Großbritannien, aber auch in Pakistan und Jordanien - Verständnis für islamische Extremisten aufbringt. Nach verlässlichen Schätzungen sind 40 Prozent der islamistischen Terroristen Staatsbürger westlicher Länder und können sich daher visumfrei bewegen. In den meisten Fällen treibt nicht etwa die Armut die Einwanderer der zweiten und dritten Generation dazu, sich in einen religiösen Fanatiker oder gar Terroristen zu verwandeln.

Wenn man bedenkt, dass derzeit in den Ländern der Europäischen Union rund 15 Millionen Muslime leben, gehen jene, die den Multikulturalismus, die Offenheit und Toleranz gegenüber den Einwanderern (nicht nur den Muslimen!) infrage stellen und nur sichtbaren polizeilichen Aktivismus fordern, am wirklichen Problem vorbei. Ohne die Mitwirkung der Religionsführer in den muslimischen Gemeinden im Westen, aber auch in der ganzen islamischen Welt selbst, vor allem in Pakistan und Saudi-Arabien, kann der Terror nicht erfolgreich bekämpft werden.

Aber mit Terroristen, mit Extremisten, die in Koranschulen oder Moscheen zur Zerstörung des westlichen Wertesystems aufrufen, sind keine Kompromisse möglich. Nur mit internationalem Konsens kann die internationale Bedrohung eingedämmt werden. Dazu gehören freilich auch die Videoüberwachung und längere Speicherung der Telefon- und E-Mail-Daten.

Es gibt keine Rezepte für den Umgang mit dem Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit. Im Krieg gegen den Terror geht es um Schadensbegrenzung. Die Gesellschaft muss sich wehren; Relativierung und Verharmlosung der Gefahr sind für die Zukunft der offenen Gesellschaft bedrohlicher als zeitweilige und durch legitimierte demokratische Institutionen kontrollierte Überwachung der Bürger. (DER STANDARD, Printausgabe, 28.7.2005)