München - Der Widerstand des Vatikans gegen den Nationalsozialismus war nach Erkenntnissen des Bonner Historikers Karl-Joseph Hummel deutlich stärker als bisher bekannt. Das würden Akten des vorzeitig 2003 geöffneten Vatikan-Archivs belegen. "An ersten Ergebnissen kann man bereits absehen, dass dabei nicht nur kosmetische Korrekturen herauskommen", sagte Hummel laut einer Kathpress-Meldung vom Freitag dem in Nürnberg erscheinenden Wissensmagazin "G/Geschichte". Schon jetzt ließen sich einige der jahrzehntelang umstrittenen Fragen klar beantworten.

So habe der Vatikan Ende 1938 geplant, den Nationalsozialismus in einer weltweit abgestimmten Aktion anzugreifen. Nur auf Bitten deutscher Bischöfe, die unkalkulierbare Vergeltungsmaßnahmen fürchteten, sei die Aktion unterblieben, sagte der Historiker. Keine Belege gebe es für den Vorwurf, dass Pius XI. und Pius XII. gegenüber den Nazis Kompromisse gemacht hätten, weil sie sich gegen den Bolschewismus Unterstützung erhofften. Dafür seien Gutachten deutscher Jesuiten von 1934/35 aufgetaucht, in denen Rassismus, Nationalismus, Kommunismus und Totalitarismus gleichermaßen verurteilt werden. Im übrigen sei Hitler bei seinem Rombesuch im Mai 1938 sehr verärgert gewesen, dass Pius XI. ihn demonstrativ nicht empfangen habe.

Geschichtsbild

Das einseitige Geschichtsbild vom "untätigen Pius XII." als einem Papst, der geschwiegen habe, sei bis zu dessen Tod 1958 nicht vorhanden gewesen, unterstrich Hummel. Dieses Bild habe sich durch das Stück von Rolf Hochhuth "Der Stellvertreter" in den sechziger Jahren entwickelt. Inzwischen lasse sich aber nachweisen, dass etwa der Abbruch der Razzia der Deutschen gegen die jüdischen Bürger in Rom im Oktober 1943 wesentlich auf das Eingreifen von Pius XII. zurückgegangen sei.

Die Kirche ist laut Hummel gut beraten, die Öffnung ihrer Archive konsequent fortzusetzen. Ein geöffnetes Archiv lasse keinen Raum für Verdächtigungen und Erfindungen. Allerdings habe er bei manchen Kritikern den Eindruck, dass sie lieb gewonnene Vorurteile offensichtlich nicht dem Härtetest der Überprüfung an den Dokumenten aussetzen wollten, kritisierte der Historiker. Hummel ist Direktor der "Kommission für Zeitgeschichte" in Bonn. (APA)