Sieben Wochen vor der deutschen Bundestagswahl lehrt die neue Linkspartei die etablierten Parteien in unserem Nachbarland das Gruseln. Kaum gegründet, sind die Neuen in Ostdeutschland die Nummer eins und im gesamten Bundesgebiet die Nummer drei, vor den Grünen und der FDP. Schon spricht man davon, dass der Erfolg der Linkspartei CDU und SPD nach der Wahl nolens volens in eine große Koalition zwingen wird ...

Die Linkspartei besteht zum weitaus größeren Teil aus der ehemaligen PDS, Nachfolgerin der einstigen SED und zum weitaus kleineren Teil aus einer linken Abspaltung der westlichen Sozialdemokraten. Wer hätte seinerzeit gedacht, dass 16 Jahre nach dem Mauerfall die Staatspartei der DDR fröhliche Urständ feiern und große Teile der Bevölkerung hinter sich versammeln würde! Denn um einen Neuaufbruch der deutschen Linken, nach Art der 68er-Zeit, um Hoffnungen und Zukunftsvisionen von einer "neuen Gesellschaft", geht es hier nicht. Es ist die Angst vor der Globalisierung, die bei dieser Neugründung Pate gestanden ist, der Frust über die Wirtschaftsreformen, die nicht und nicht greifen wollen, der Zorn über die Tatsache, dass in Deutschland wie anderswo die Gewinne der Konzerne immer mehr und die Arbeitsplätze immer weniger werden.

Hauptursache für den Aufstieg der Linkspartei dürfte aber die tiefe Enttäuschung vieler Ostdeutscher über die Wiedervereinigung sein. Diese haben zwar, anders als die Menschen in anderen postkommunistischen Ländern, neben der Demokratie auch viele Millionen Euro Hilfe vom Westen empfangen, aber sie haben es auch mit hoher Arbeitslosigkeit zu tun, einer, wie sie sagen, "plattgemachten" heimischen Industrie und dem anhaltenden Gefühl der Demütigung durch die alles beherrschenden "Wessis".

Der aus der DDR stammende und jetzt in Österreich lehrende Politikwissenschafter Dieter Segert hat darauf aufmerksam gemacht, dass nur ein Bruchteil der deutschen Eliten in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft aus Ostdeutschland stammt. Hatten 1989 noch viele den Zusammenbruch des Regimes und die zur "Revolution" verklärte Wende als Befreiung empfunden, so erlebten sie die Nachfolgejahre vielfach als feindliche Übernahme durch die BRD. "Deutschland gibt es nicht", meinte eine ostdeutsche Soziologin, "es gibt Deutschland West und Deutschland Ost". Die Linkspartei wird denn auch von vielen Ostdeutschen als eine Art Heimatpartei gesehen und ihr Anführer, der wortgewaltige und witzige Ex-Kommunist Gregor Gysi, der es in den Fernsehtalkshows den Wessis so richtig zeigt, als Champion der ewig zurückgesetzten Ossis. Dass ausgerechnet die Ossis die nächste Bundestagswahl entscheiden könnten, ist für viele denn auch eine Art späte Genugtuung.

Die DDR war meiner Erfahrung nach von allen Ostblockstaaten der unsympathischste, nicht nur wegen der brutalen Stasi-Diktatur, sondern auch wegen des alle Lebensbereiche durchdringenden Triumphs des Spießertums. Trotzdem - oder vielleicht auch deswegen - sagen jetzt viele: War doch nicht alles schlecht damals. Die Linkspartei hat jedenfalls jetzt schon auch den Wahlkampf der anderen Parteien beeinflusst. Die SPD polemisiert gegen kapitalistische "Heuschrecken", die CDU stellt die ostdeutsche Herkunft ihrer Spitzenkandidatin heraus. Aber ob das hilft?

Schon fürchten manche, dass es nach der Wahl für Schwarz-Gelb, schon gar für Rot-Grün, keine Mehrheit geben könnte. Das würde dann eine Koalition Schwarz-Rot bedeuten. Und Österreich? Hier sind die Bedingungen anders, aber bisher hat sich noch stets gezeigt, dass, was in Deutschland geschieht, bei uns nicht ohne Echo bleibt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1. August 2005)