Die Verfassung Saudi-Arabiens sei der Koran, das ist die offizielle Standardantwort im wahhabitischen Königreich auf Systemkritiker. Ganz im Gegensatz zur angeblichen Theokratie Iran, die sich nach dem Motto "islamische Inhalte in westliche Gefäße" 1979 als Islamische "Republik" (mit Parlament und allem Drumherum) ausrief, bleibt Saudi-Arabien dem Gedanken der direkt religiös legitimierten Herrschaft verbunden: Der Anspruch der Familie Saud beruft sich dabei auf Muhammad bin Abdel-Wahhab (gest. 1792), dessen Islaminterpretation, später Wahhabiya genannt, sie sich zu verbreiten verpflichtete.

Die Wahhabiya ist eine aus der strengsten der islamischen Rechtsschulen, der hanbalitischen, stammende Bewegung mit sektenhaften Zügen. Ibn Abdel-Wahhab begann seine Predigttätigkeit um 1730 in Najd, seine Weltsicht lässt sich so zusammenfassen: Die Menschen hätten den wahren Islam vergessen, es gelte, alle späteren Entwicklungen rückgängig zu machen und keine neuen mehr zuzulassen. Der Begriff "bida", Neuerung, wurde zum negativen Schlüsselwort.

Heidnische Araber

Um den Bewohnern der Region alles Unislamische auszutreiben, war Djihad, und zwar auch der mit der Waffe, nicht nur der geistige, angesagt. Die arabischen Stämme, die "Araber" (das heißt Beduinen, im Gegensatz zu den Sesshaften) hatten ihre präislamisch geprägten Bräuche sehr lange Zeit bewahrt und galten als theologisch ahnungslos und verwildert. Besonders hatte es Ibn Abdel-Wahhab auf die Heiligenverehrung abgesehen.

In diesen Kontext, den absolut kompromisslosen Monotheismus, gehört auch der Hass vieler Wahhabiten auf die Schiiten, die im Glaubensbekenntnis Ali (Schwiegersohn des Propheten, vierter Kalif und erster schiitischer Imam) Allah sogar "beigesellt" hatten. Mit den eigenen, meist der Zwölferschia (sie glauben an zwölf Imame) angehörenden und in den ölreichsten Gebieten lebenden Schiiten hat sich die Staatsmacht arrangiert und sogar einen zaghaften Dialog begonnen. Ismailiten (Siebener-Schiiten) werden noch immer als "Zauberer" verfolgt.

Zauberlehrlinge

Heute ist das Königshaus am stärksten von Kräften bedroht, die vom selben ideologischen Nährboden stammen wie es selbst. Da gibt es eine historische Parallele. Der spätere erste König Abdel-Aziz II. (Ibn Saud) gründete 1912 eine Bewegung, die Ikhwan (Brüder), die ihre nomadisierenden Stämme verließen, um in eigens errichteten Siedlungen ihre fanatische Ideologie zu pflegen: eine Wiederaufnahme des Hijra-Gedankens Muhammads, wie er bei seinem Auszug aus Mekka brachen auch die Ikhwan mit ihren traditionellen Stammesbindungen. Als sich ein saudischer Nationalstaat herauszubilden begann, nahmen sie jedoch den Kampf gegen diesen - bida! - auf und mussten erst niedergerungen werden. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.8.2005)