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Michail Chodorkowski: KP zurück an die Macht.

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An Analysen zu Russlands politischer Entwicklung herrscht kein Mangel. Nun hat sich auch der zu neun Jahren Haft verurteilte Ex-Yukos-Chef Michail Chodorkowski mit einem im Wirtschaftsblatt Wedomosti publizierten Artikel in die Diskussion zurückgemeldet und heftige Reaktionen ausgelöst.

In diesem bereits dritten "Gefängnisbrief" führt der einst reichste Russe, dessen Schicksal die Mitbürger laut Umfragen nur noch mäßig aufregt, seine "linken" Gedanken der vorherigen Briefe, in denen er über die Freiheitseinschränkungen durch Großbesitz sinnierte, fort und spricht von der Notwendigkeit und Unausweichlichkeit eines Linksrucks in Russland. Die Linken müssten an die Macht, um die Freiheit (des wilden Kapitalismus, in dem Chodorkowski seinen Reichtum anhäufte) mit der Gerechtigkeit zu versöhnen, um politische Moral, Zukunftsperspektiven und Nationalstolz zurückzubringen.

Im Unterschied zu den Ländern des einstigen sozialistischen Lagers, die in den 90er-Jahren einen Linksruck erlebten, habe ein solcher im postsowjetischen Raum nicht rechtzeitig stattgefunden, weshalb es auch zu Revolutionen gekommen sei. Chodorkowski ist überzeugt, dass in Russland bei freien Wahlen 2008 eine Person des linken Lagers Präsident wird: "Ein Linksruck wird stattfinden" - selbst ein von Amtsinhaber Wladimir Putin eingesetzter Nachfolger käme nicht darum herum.

Gewiss, die jetzigen Machthaber könnten die Entwicklung Russlands noch aufhalten, aber nur mit antidemokratischen Mitteln, meint Chodorkowski. Allerdings hält er dies für unwahrscheinlich, da es im jetzigen Kreml die dafür nötigen Personen vom Schlag eines Lenin oder Stalin nicht gebe. Und das Volk selbst werde einen weiteren autoritären Kurs nicht zulassen.

Chodorkowski prophezeit, dass an der nächsten Staatsführung die Kommunisten und die nationalpopulistische Partei Rodina beteiligt sein würden. So rät er auch den jetzigen liberalen Restkräften, sich zu entscheiden, ob sie in der Bedeutungslosigkeit verbleiben oder doch in eine groß angelegte sozialdemokratische Koalition eintreten wollen. Von Putin selbst werde nur zweierlei für einen friedlichen Linksruck abverlangt: nach der zweiten Amtszeit 2008 abzutreten und demokratische Wahlen zu gewährleisten.

Die Notwendigkeit einer Koalition mit dem linken Lager (inklusive besserer Gewaltenteilung zwischen Präsident und Regierung) hatte Chodorkowski schon 1996 propagiert - bekanntlich ohne Erfolg. Dass er sich mit dem jüngsten Artikel den Beifall völlig heterogener Kräfte - von den quasi Wirtschaftsliberalen über die nationalpopulistische Rodina-Partei bis hin zu den Kommunisten - holte, zeugt mindestens so sehr von der Positionsschwäche der quasioppositionellen Gruppierungen wie vom Rehabilitationswunsch eines Oligarchen in der breiten Öffentlichkeit.

Im Übrigen nimmt sich der Artikel nicht wie der große Beitrag zur Gesundung eines Landes mit starker Tendenz zu Bürokratie und Staatsinterventionismus aus. Dass linke Ideen in einer viel geprüften Bevölkerung populär sind, weist sie nicht automatisch als bestes Heilmittel aus. Und dass die linken Parteien noch weniger über ein Wirtschaftsprogramm verfügen als die derzeitige Staatsmacht, weiß gerade Chodorkowski. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.8.2005)