Karikatur: Oliver Schopf | austrianillustration.com

STANDARD
Manchmal genügt eine kleine Bemerkung, um einen Riesenstreit vom Zaun zu brechen. Man kritisiert ein scheinbar harmloses Detail – zum Beispiel die schlecht ausgedrückte Zahnpastatube –, es folgen Ausflucht, Nachbohren und Gegenangriff und plötzlich ist man mittendrin in einem gegenseitigen Das-wollte-ich- dir-immer-schon-einmal-sagen-Gebrüll.

Was jeder aus privaten Beziehungen kennt, ist in den vergangenen Tagen zwischen Israel und dem Vatikan passiert. Der Papst hatte die Terroranschläge in London, Ägypten, der Türkei und im Irak verurteilt, das Selbstmordattentat im israelischen Netanya, das fünf Menschen das Leben kostete, aber unverständlicherweise nicht erwähnt. Das israelische Außenministerium, das in der Sharon-Ära eine teilweise enervierende Dünnhäutigkeit an den Tag legt, zitierte den Vertreter des Vatikans in Jerusalem zu sich, um ihm mitzuteilen, dass man vom neuen Papst eine eindeutige Haltung zum palästinensischen Terrorismus erwarte.

Das israelische Ansinnen ist legitim. Allerdings entspricht es nicht unbedingt diplomatischen Gepflogenheiten, dies öffentlich auszubreiten.

Statt höflich zu schweigen, sahen sich die päpstlichen Sekretäre nun ihrerseits zur "Öffentlichkeitsarbeit" verpflichtet – und verwickelten sich dabei in allerlei seltsame Widersprüche: Erst ließ Vatikansprecher Joaquín Navarro- Valls verlauten, Israel interpretiere Benedikts Erklärung falsch. Sie habe sich nur auf den Terror "der letzten Tage" bezogen – dabei lag der Anschlag von Netanya lag zwischen denen von London und Ägypten; nicht besser war die Behauptung, aus dem Sinn der Erklärung gehe eindeutig hervor, dass Netanya auch gemeint sei, der Papst habe eine ausdrückliche Erwähnung nur irgendwie versäumt. Papst Benedikt XVI.? Dieser Mann des Wortes?

Verbale Eskalation

Den Schlusspunkt setzte Navarro-Valls in der Folge mit einer aggressiv formulierten Note, die nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass sich die Medien bereits längst anderen Themen zugewandt hatten, nachgerade hysterisch anmutet: Man habe Belehrungen nicht nötig, außerdem entsprächen die israelischen Reaktionen auf Terrorakte nicht immer dem Völkerrecht, weswegen es schwierig sei, "jeden Anschlag" zu verurteilen. Wörtlich hieß es: "Es ist daher unmöglich, das Erste (die Terrorangriffe) zu verurteilen und das Zweite (die israelische Vergeltung) stillschweigend vorbeigehen zu lassen."

Damit hat sich der Kirchenstaat auf dünnes Eis begeben. Denn es ging ursprünglich weder darum, "jeden Terroranschlag" zu verurteilen, noch darum, Antiterrormaßnahmen zu beurteilen. Der Papst sollte nur Anschläge islamistischer Fanatiker ächten – auf die Israel übrigens im konkreten Fall keineswegs völkerrechtswidrig reagiert hat. Deshalb ist die Diktion der Erklärung verräterisch und politisch wie moralisch für den neuen Papst ein Desaster, da – wohl zu Unrecht – der Eindruck entstanden ist, als stünden Israel und der Vatikan nicht auf derselben Seite, und als teile Benedikt die islamistischen Vorwände für das unterschiedslose Ermorden unschuldiger Menschen.

Selbst Amnesty International, das einer übertrieben pro- israelischen Haltung unverdächtig ist, hat die palästinensischen Terrororganisationen aufgefordert, Anschläge auf Zivilisten sofort bedingungslos einzustellen. Es ist für den Heiligen Stuhl beschämend, hinter diese Haltung zurückzufallen: Dass Einsätze der israelischen Armee in der Tat teilweise völkerrechtlich umstritten sind, ist ebenso offensichtlich, wie es unstrittig ist, dass Selbstmordanschläge gegen jedes nationale und internationale Recht verstoßen. Der bevorstehende Besuch des Papstes in der Kölner Synagoge wäre vielleicht eine gute Gelegenheit, diesbezüglich Klarheit zu schaffen.

Bei aller Notwendigkeit, verbale Eskalationen auch als solche zu benennen, wäre es allerdings falsch zu glauben, die jüdisch-katholischen Beziehen seien akut gefährdet. An Benedikts Bemühen, auf religiöser Ebene den Dialog zu verbessern und christliche Mitverantwortung für die Schoah zu übernehmen, besteht kein Zweifel. Aber der Vatikan ist nun einmal auch eine politische Institution. Und als solche streitet er mit Israel. Was nicht zuletzt daran deutlich wird, dass die Vertreter des Papstes sich auf das weltliche Völkerrecht beziehen. Auf dem politischen Parkett geht es unter anderem um so schwierige Fragen wie die juristische Stellung der katholischen Kirche in Israel, um den künftigen Status Jerusalems oder um die Tatsache, dass viele palästinensische Christen Katholiken sind, als deren Schutzherr sich der Vatikan sieht ...

Vorläufiges Fazit im gegenständlichen Fall. Israel hat auf die letzte Erklärung aus Rom zunächst nicht öffentlich reagiert – ebenso wenig wie auf die ans Außenministerium gerichtete Aufforderung von 130 Rabbinern, sich von der Kritik an Papst Benedikt zu distanzieren (STANDARD, 2. 8.). Nun gibt es sogar erste Anzeichen der Entspannung. Man kennt das ja: Auf die Brüllphase folgt die Denkpause. In guten Zeiten kommt man danach zum Ergebnis, wie wichtig ein reinigendes Gewitter sein kann, in schlechten Zeiten folgt das endgültige Zerwürfnis. Angesichts der großen Bedeutung, die die Beziehung des Vatikans zu Israel für beide Seiten hat, kann man wohl von guten Zeiten ausgehen. Und sei es nur der Kinder wegen – in diesem Fall die Katholiken und die Juden in der Welt. (DER STANDARD, Printausgabe, 04.08.2005)