Der ungarische Diplomat Tibor Tóth ist seit Anfang August der neue Chef der in Wien ansässigen Atomteststoppbehörde (CTBTO). Sein erstes Interview gab er Gudrun Harrer.

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STANDARD: Internationale Rüstungskontrolle und Abrüstung befinden sich in einer Krise. Im Juni ist die Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag (NPT) gescheitert; dessen kleiner Bruder, der Atomteststoppvertrag (CTBT), wird in absehbarer Zeit erst gar nicht in Kraft treten.

Tóth: Auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle und Abrüstung misst man besser nicht in Monaten, auch nicht in Jahren. Man muss längere Zeiträume anschauen. Und man kann den Fortschritt auch nicht immer an der Kodifizierung, an Verträgen, messen. Manchmal ist es ein Mix von multi- und plurilateralen Bemühungen mit uni- und bilateralen Schritten. Verträge sind nur viel sichtbarer – und besonders ein Scheitern einer Vertragskonferenz.

STANDARD: Bei der CTBTO, die sie gerade übernehmen, hat man manchmal das Gefühl, dass sie sich in einer politisch ungünstigen Lage darauf zurückzieht, ihre Existenz allein technisch zu rechtfertigen, so à la "Wir können Tsunamis entdecken". Genügt Ihnen das?

Tóth: Natürlich gibt es beide Aspekte, den politischen und den technischen, der positive Nebeneffekte in Gebieten produziert, die nichts mit Waffen zu tun haben: "dual use", militärische und zivile Nutzung, im positiven Sinn. Das liegt auch an einem einmaligen Zug unserer Organisation: Unser Technisches Sekretariat muss bereits alles funktional gestellt haben, wenn der Vertrag in Kraft tritt. Bei anderen Systemen ist das nicht so, da werden vorher nur Regelwerk und Prozeduren vorbereitet.

Das Politische und das Technische gehören zusammen. Unser System hat eine starke präventive Komponente: Und bei Prävention ist es sehr wichtig, dass man Ereignisse genau identifizieren kann. Auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle ist das Verstehen dessen, was eigentlich vorgeht, ein ganz wichtiger Ausgangspunkt für weitere Überlegungen.

Und da sind wir wieder bei einer besonderen Eigenschaft unserer Organisation: Während andere Rüstungskontrollarrangements Daten sammeln und dann die technischen Schlüsse weitergeben, zu denen sie aufgrund dieser Daten gekommen sind, stellen wir die Daten selbst zur Verfügung. Damit befähigen wir Staaten, zu ihrem eigenen Urteil zu kommen.

STANDARD: Jetzt einmal von der ökologischen Seite abgesehen: Warum ist es so wichtig, nicht zu testen, besonders wenn man bereits ein Atomwaffenstaat ist? Und ist es technisch überhaupt noch wirklich notwendig zu testen, um eine Waffe ins Arsenal zu stellen?

Tóth: Der CTBT wäre natürlich nicht die einzige Barriere auf dem Weg von einem Nichtatomwaffenstaat zum Atomwaffenstaat, aber wenn ein Land alle Barrieren absolviert hat, so ist der Vertrag die letzte, und zwar die sichtbarste und die am leichtesten interpretierbare. Diese letzte Barriere muss aufrechterhalten werden – vor allem in einer Zeit, in der es immer schwieriger wird zu interpretieren, ob Länder andere Barrieren schon überschritten haben oder nicht, etwa wegen der Dual-Use-Kapazitäten im nuklearen Brennstoffzyklus. Der Teststopp ist hingegen eine klare Sache, da lässt sich nichts verwischen.

Natürlich können Länder, die bereits Waffen haben, bei gewissen Dingen ohne Tests auskommen. Aber: Ohne die politische und psychologische Wirkung eines Tests ist eine Waffe vielleicht ein zweifelhafterer Bestandteil eines Arsenals eines Landes. Die Länder auf der richtigen Seite der Barriere zu halten, kann regional und global positiv zur Sicherheitswahrnehmung beitragen. Die Kapazität plus die Demonstration einer Anschaffung einer Waffe ist etwas anderes als die Unsicherheit darüber.

STANDARD: Wie etwa die "nukleare Ambiguität" Israels, das sein Arsenal weder bestätigt noch dementiert?

Tóth: Nein, ich will damit sagen, dass der Atomteststoppvertrag beide Aspekte in ihrer Totalität behandelt, die technische, aber auch die psychologische und sicherheitspolitische Seite. (DER STANDARD, Printausgabe, 04.08.2005)