Zu meiner Glosse "Kriegsverbrechen?" vom 4. August hat es innerhalb von 24 Stunden etwa 200 "Postings" auf derStandard.at gegeben, was ein beachtlicher Wert ist angesichts des historischen Themas "Hiroshima" ("moralische" Themen finden unter STANDARD-Lesern großes Interesse - der Artikel zu Kardinal Schönborns "Evolutions"-These hatte 800 Postings). Einige Leser kritisierten, dass ein solches Thema in einer kurzen Glosse abgehandelt worden sei. Verdichtung und Zuspitzung sind das Wesen einer Glosse, trotzdem hier noch einmal ausführlichere Überlegungen, auch weil in etlichen Postings (und in einem Artikel des Philosophen Konrad Paul Liessmann in der Presse vom 30. 7.) unhaltbare Thesen vertreten wurden.

Um den Entschluss, auf Hiroshima die Atombombe abzuwerfen, bewerten zu können, muss man weiter ausholen. In den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts war Japan eine aggressiv-expansionistische Militärmacht, die es als Recht der überlegenen japanischen Rasse ansah, praktisch ganz Asien zu unterwerfen. Bereits 1931 marschierte Japan in Nordchina (Kohle) ein und etablierte dort einen Marionettenstaat (mit dem letzten Kaiser Pu Yi). 1937 griff es auch das restliche China an und beging dort im Lauf der Jahre einen Völkermord mit zwölf Millionen Toten. Die Besetzung des rohstoffreichen Südostasiens war Teil des großen Planes.

Die Bevölkerung der USA war isolationistisch eingestellt, das Militär unterentwickelt, Präsident Roosevelt ging allerdings innerlich davon aus, dass sich die USA letztlich der Aggression Japans (und NS-Deutschlands) entgegenstellen mussten. Als Japan 1941 Indochina besetzte, verhängten die USA ein Ölembargo.

Roosevelt war sich des Kriegsrisikos wohl bewusst. Er hätte Japan natürlich auch gewähren lassen können, allerdings um den Preis einer Schreckensherrschaft Japans in Asien (und um den einer Bedrohung der USA). Alle Verschwörungstheorien, Roosevelt hätte Japan zum Überfall auf Pearl Harbour provoziert, sind nichts als solche.

Nun ein großer Sprung zur Endphase des Krieges: Japan war Anfang 1945 besiegt, aber noch in der Lage und großteils auch willens, sich bis zum letztem Atemzug zu wehren. Die Eroberung der letzten größeren vorgelagerten Insel, Okinawa, kostete die Amerikaner 25.000 Tote (Gesamtzahl der Gefallen im ganzen Krieg: 300.000). Demokratien können nicht unbegrenzt Verluste in Kauf nehmen, bei einer Invasion des Festlandes war mit mindesten 100.000 toten US-Soldaten und mit vielleicht einer Million Japanern (überwiegend Zivilisten) zu rechnen. Das war ein wichtiges Motiv, die Atombombe einzusetzen. Es ist einfach nicht wahr, wie etwa Liessmann schreibt, dass Japan ohnehin zur Kapitulation bereit war. Das galt für einige zivile Minister, vielleicht für die Führung der Marine, die keine Schiffe mehr hatte, aber sicher nicht für die noch weit gehend intakte Armee. Dort gab es genügend Fanatiker, die weitergekämpft hätten und dies ankündigten, auch und gerade nach Hiroshima. Mehrere junge Offiziere wurden bei einem Putschversuch in letzter Minute getötet.

Nach dem Abwurf dauerte es noch mehr als eine Woche bis zur Kapitulation. Als auf dem Schlachtschiff "Missouri" in der Bucht von Tokio die Kapitulation unterzeichnet wurde, konnte eine Kampffliegerstaffel nur durch persönliche Intervention eines Mitglieds des Kaiserhauses gehindert werden, aufzusteigen und sich auf die "Missouri" zu stürzen.

Es ist absoluter Unsinn, dass Präsident Truman mit der Entscheidung zum Bombenabwurf eher die Russen als die Japaner beeindrucken wollte. Japan war in der Betrachtungsweise der Amerikaner - und in der Realität! - ein immer noch gefährlicher Feind, der endgültig niedergerungen werden musste. Ob das Hiroshima und Nagasaki letztlich moralisch rechtfertigt, ist eine eigene Frage. Aber das Hauptmotiv der USA war der möglichst rasche, möglichst verlustarme Sieg. Alles andere sind nachträgliche Konstrukte aus dem Geist des heutigen Antiamerikanismus. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6./7. 8. 2005)