Das Alter fordert Entsagung: Der in London beheimatete Satiriker und Essayist Julian Barnes (59) bekommt am Montag in Salzburg den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur überreicht.

Foto: STANDARD/Regine Hendrich
Salzburg - In seinem neuesten, jetzt Anfang Juli auf Englisch veröffentlichten und bereits als sein Meisterwerk gefeierten Roman Arthur & George diktiert der britische Journalist, Essayist und Romancier Julian Barnes seinem Protagonisten Sir Arthur Conan Doyle die drei großen Grundprinzipien des Schreibens ins Stammbuch.

Der Erfinder des Meisterdetektivs Sherlock Holmes merkt laut Barnes dazu in einer profunden literarischen und angesichts der aktuellen Terroranschläge in London leidlich zwingend in tagespolitischen Zusammenhang gebrachten Recherche über dessen Freundschaft mit seinem indisch-schottischen Jugendfreund George Edjali und einem Ende des 19. Jahrhunderts den britischen Alltagsrassismus verhandelnden Kriminalfall an:

"Erstens, schreib verständlich! Zweitens, sei interessant! Drittens, sei geistreich!"

Alle drei Forderungen werden vom 59-Jährigen selbst zwar nicht unbedingt in dieser Reihenfolge eingehalten. Eine Tatsache übrigens, die ihn bis heute merkwürdigerweise auch mehr in Kontinentaleuropa berühmt machte als in seiner unterstellt schrulligen Londoner Heimat.

Mit gerade auch im Französischen hoch gelobten Veröffentlichungen wie Flauberts Papagei, Das Stachelschwein, Metroland, Darüber reden, Liebe usw., Eine Geschichte der Welt in 10 1/2 Kapiteln oder England, England beweist Julian Barnes aber eines - ebenso wie mit den Kriminalromanen um den skurrilen Verlierertypen und Privatdetektiv Duffy unter seinem von seiner Frau und Agentin Patricia Kavanagh geborgten Pseudonym Dan Kavanagh und Titeln wie Vor Die Hunde Gehen oder Schieber-City:

Die oft geschmähte Stilform der in Barnes' Fall immer wieder auch so genannt beißenden Satire, laut der Süddeutschen Zeitung getragen von einer "Vorliebe für unausgelebte Liebesgeschichten und die Skepsis jedem Fortschrittsglauben gegenüber", schließlich auch "der festen Überzeugung von der Absurdität des Lebens und einer schroffen Nüchternheit angesichts des Todes", sie scheint trotz aller noch immer gängigen Vorurteile bezüglich Oberflächlichkeit und Blödelei mithin doch preiswürdig.

Wenn die letzten Dinge satirisch verhandelt werden, dann geht es ans Eingemachte. Immerhin ist ja nicht nur ein ausgestopfter Papagei des französischen Dichters Flaubert ein eindeutiger Wink mit dem Zaunpfahl; auch die Geschichte der Arche Noah, erzählt von Holzwürmern, deutet ebenso auf eine einst erfolgende letzte große Abrechnung hin wie eine als Schauprozess gegen einen gestürzten Ostblockdiktator angelegte Lebensbilanz in Das Stachelschwein.

Ums Eingemachte geht es auch in Julian Barnes' im Vorjahr auf Deutsch erschienenen, bewusst von Vorurteilen, Klischees und Launen durchmischten Essay Fein gehackt und grob gewürfelt. Ein Pedant in der Küche. Ein Erlebnisbericht aus seiner Küche und über seine sklavische Befolgung vorgegebener Rezepte - eine "Transformation der Unsicherheit (das Rezept) in die Sicherheit (das Gericht) auf dem Umweg über Hektik und Angst". Wenn das nicht ein Lebensthema darstellt, was dann?! Wie so oft bei Barnes gilt auch hier: das Ende, es ist nah!

Milde Weisheiten

Um das Ende, das Altern und die Obszönität des Todes geht es auch in den elf soeben auf Deutsch veröffentlichten Erzählungen des Bandes Der Zitronentisch. Wobei sich Barnes im Vergleich zu früher in seinem Spott und Hohn merkbar zurückhält. Barnes, in jüngeren Jahren Redakteur des Oxford English Dictionary für die Sparten Sport und Schimpfwörter, versucht hier durchaus heiter wohlwollend und ohne beißenden Witz der Hinfälligkeit der Welt mit milden Lebensweisheiten beizukommen.

Nach jahrzehntelanger Meisterschaft im unsentimentalen, von jedwedem Pathos befreiten, witzigen Erzählen ist eindeutig eine Neuentwicklung hin zum Alterswerk zu beobachten: "Ab dem Alter von vierzig Jahren lässt sich das Grundprinzip des Lebens mit einem einzigen Begriff zusammenfassen: Entsagung." (DER STANDARD, Printausgabe, 06./07.08.2005)