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Das deutsche Bundesverfassungsgericht berät in Karlsruhe bis spätestens Anfang September, ob die vorgezogenen Neuwahlen verfassungsidrig sein.

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Karlsruhe/Berlin - Der Verfassungsstreit um die Neuwahl des deutschen Bundestags geht in seine entscheidende Phase. Am Dienstag verhandelt der Bundesverfassungsgerichtshof in Karlsruhe über die Organklagen der Bundestagsabgeordneten Werner Schulz (Grüne) und Jelena Hoffmann (SPD). Sie halten die Entscheidung von Bundespräsident Horst Köhler für verfassungswidrig, den Bundestag aufzulösen und vorgezogene Wahlen für den 18. September anzusetzen.

Nach Auffassung der Kläger verstößt das - von Köhler abgesegnete - Vorgehen von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gegen den Grundgesetz-Artikel 68. Schröder hatte sich am 1. Juli vorsätzlich das Misstrauen des Bundestags aussprechen lassen. Nach einem Urteil des Verfassungsgerichts von 1983 ist dem Kanzler zwar grundsätzlich erlaubt, eine Vertrauensfrage absichtlich scheitern zu lassen, Bedingung ist eine "politische Lage der Instabilität", in der sich der Regierungschef nicht mehr einer "stetigen" Parlamentsmehrheit sicher sein kann.

Die Bevollmächtigten der Kläger, der Mannheimer Professor Wolf- Rüdiger Schenke und sein Hannoveraner Kollege Hans-Peter Schneider, sehen die Mehrheit der rot-grünen Regierungskoalition nicht in Gefahr - trotz Schröders Hinweis auf angebliche Abweichler in den eigenen Reihen. Die Regierung habe in allen maßgeblichen Abstimmungen eine Mehrheit zu Stande gebracht. Die Bundesregierung wird in Karlsruhe durch Innenminister Otto Schily (SPD) und ihren Prozessbevollmächtigten Bernhard Schlink vertreten, das Bundespräsidialamt durch dessen Chef Staatssekretär Michael Jansen.

Urteil bis spätestens Anfang September

Ein Urteil wird für Ende August oder Anfang September erwartet. Über die Klagen von etwa zehn Splitterparteien, die wegen der abgekürzten Frist niedrigere Hürden zur Wahlzulassung durchsetzen wollen, wird der Zweite Senat des Verfassungsgerichts nicht mündlich verhandeln. Wahrscheinlich wird über diese Verfahren schriftlich per Beschluss entschieden.

In der Debatte über die Landeslisten der Linkspartei, auf denen auch WASG-Vertreter für den Bundestag kandidieren, besteht Bundeswahlleiter Johann Hahlen auf einer klaren Abgrenzung. Für den Wähler müsse "Klarheit darüber bestehen, für welche Partei und welches Parteiprogramm er sich entscheiden kann", sagte Hahlen dem Münchner Magazin "Focus". Wie Bayerns Vize-Wahlleiter Erich Tassoti betonte, wird insbesondere überprüft, ob die Listenkandidaten - vor allem auf den aussichtsreichen Plätzen - auch "das gleiche politische Programm vertreten". Wenn nicht, wäre dies "möglicherweise ein gravierender Sachverhalt". Tassoti kann sich vorstellen, dass in einigen Bundesländern eine umstrittene Wahlliste abgelehnt wird, während in anderen Ländern die Kandidatenreihen genehmigt werden.

Die in Linkspartei umbenannte PDS und die WASG umgehen nach Ansicht von einigen Experten mit ihrem Bündnis die Bestimmungen des Wahlgesetzes. Wie die ehemaligen Verfassungsrichter Karin Graßhof und Hans H. Klein in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Wochenendausgabe) schrieben, haben beide Parteien bei der Kandidatenaufstellung formal zwar darauf geachtet, dass man nicht von einer unzulässigen Listenverbindung sprechen könne. "Es soll aber genau das erreicht werden, was mit dem Verbot von Listenvereinigungen verhindert werden soll. Der Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten, die das Wahlrecht eröffnet, ist offenkundig." Die Zusammenarbeit habe den alleinigen Zweck, der eigens umbenannten PDS Wähler aus dem Westen zuzuführen. (APA/dpa)