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Der Fächer mit dem gelungenen Knick: So wird aus der "Traviata" die "Travata" und der ORF "wünschte" schon vor Premierenbeginn Unterhaltung. - Bekannter Seitenblicke-Fächerträger: Alfons Haider an der Seite von Brigitte Androsch.

Foto: APA/Barbara Gindl
Von Claus Philipp


Da endlich: "Oper ist wieder ein Hype", jubelt Salzburgs Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler. "Hemmungslosen Jubel", vermeldet ORF-Kulturchefin Margit Czöppan. Möglich sei dies erst "durch jahrelange Pflege von Kultur im Fernsehen" geworden, ergänzt, ebenfalls stolz, die Herrin des Küniglbergs, Monika Lindner.

In der Tat: Bis zu 949.000 Zuseher für eine Opern-Liveausstrahlung, mit dem Bullen von Tölz (1,047 Millionen Zuseher) als direkter Konkurrenz – das darf schon als Ermutigung gelten, im ORF in Hinkunft wieder verstärkt den Kultur- und Bildungsauftrag wahrzunehmen, den Lindner & Co entgegen ihrer aktuellen Bekenntnisse zur Kunst in den vergangenen Jahren als lästige Pflichtübung betrachteten.

Aber war dieser Abend wirklich ein Aufbruch zu neuen Ufern? War er nicht ein einziges, protzig und von sehr viel Vorabpropaganda begleitetes "Zurück in die Zukunft"? "Seit der Ära Karajan" habe es einen derartigen Run auf ein Opernevent nicht mehr gegeben, hieß es gleich zu Beginn. Heißt das, dass wir die Ära Mortier jetzt endlich als leidige Zwischenphase abhaken dürfen? Dass wir Peter Ruzicka alle Ausritte ins moderne Fach verzeihen, wenn er uns einmal im Jahr Spitzenbesetzungen zum Mitsingen liefert?

Ohne in die (doch recht dünne) Suppe spucken zu wollen, die hier serviert wurde: Ein paar Einwände mögen verdeutlichen, dass derartige Retro-Spektakel nur bedingt ersetzen oder wiedergutmachen können, was der ORF in Sachen vitaler, zeitgenössischer Kulturpflege geflissentlich versäumt:

Erstens bewies auch und gerade diese Traviata einmal mehr, dass Oper live im Fernsehen eigentlich eine Katastrophe ist. So schön kann Anna Netrebko gar nicht sein, dass ihr (Bühnen-)Spiel in TV- Großaufnahmen nicht zu einer unfreiwillig komischen Mischung aus Grimassen und angestrengten Aerobic-Übungen verkommt. Auch wenn weiters das Bühnenbild vor Ort sehr aufgeräumt und auf das Wesentliche konzentriert sein mag: Symbole wie die unaufhaltsame Uhr gehen einem, wenn sich die Bildregie derartig inständig in sie verliebt, langsam auf die Nerven. (Na ja, vielleicht ist diese Uhr auch nur ein sehr mäßig inspirierter Regieeinfall ...)

"Wichtige" Infos

Zweitens: Was wurde in den Zwischenberichten an Zusatzinformation zur Inszenierung eigentlich geboten? Verdis Leben, ein reales Kurtisanen-Schicksal als Ausgangsstoff, Dumas' Kameliendame, lustiges Geplänkel bei den Proben: Jeder Stadttheater- Dramaturg, der ein Programmheft mit solchen "Infos" füllen würde, müsste ernsthaft um seinen Job fürchten. Wir verlangen ja gar nicht Interviews mit Regisseuren, Intendanten und Sängern, wie sie Alexander Kluge in seinen großartigen Opernsendungen führt! Ein wenig Niveau wird man aber selbst zur Primetime erwarten dürfen.

Erst recht, wenn – drittens – die Darstellung einer Salzburger Seitenblicke- und Premierenpausen-Gesellschaft derart fundamental misslang wie an diesem Abend: Zuerst dachte man, dass Louise Martini offenbar der Mittelpunkt des Abends sein muss. Dann erfuhr man von Sponsoren, dass sie – no na! – sehr glücklich sind. Festspielleiter Peter Ruzicka durfte nicht mehr sagen, als dass die Aufführung rekordverdächtig überbucht sei. Frau Swarovski, Herr Grasser und Alfons Haider waren auch zu sehen. Staatsoperndirektor Ioan Holender widersprach der These nicht, dass diese Traviata besser in Wien aufgehoben wäre, weil die Leute in Salzburg nicht wissen, wann und wo man applaudieren darf. Die verzweifelten Versuche von ORF-Reporter Christoph Wagner-Trenkwitz wiederum, Besucherinnen zu interessanten Aussagen zu bewegen ("Ja es ist traurig, ich habe es trotzdem genossen"): Nein, das war ungenießbar.

Insgesamt verstärkte sich vor allem ein Eindruck: Die "Kulturnation" Österreich und der ORF als eines ihrer wichtigsten Medien – sie arbeiten weiterhin hart daran, gesellschaftliche und kulturelle Errungenschaften der letzten Jahrzehnte vergessen zu machen. Wie beim "Gedankenjahr" gilt: Zurück zum etwas selbstgefälligen Pathos der Wiederaufbau-Jahre, nur halt ohne Aufbau, eher in konsequentem Abbau – nicht zuletzt sämtlicher Selbstdarstellungs- und Schamgrenzen.

Endlich wieder Diven und Superstars! Endlich wieder die High Society unter sich! Endlich wieder wir alle zufrieden vor der Flimmerkiste, beschenkt mit dem Feinsten vom Feinsten, gleichzeitig aber aller lästigen Reflexionsanstrengungen enthoben. Was war das jetzt für ein Stein, den Karl-Heinz Grasser um den Hals gehängt hat? Ganz mächtig zieht es uns hinunter ... (DER STANDARD, Printausgabe, 09.08.2005)