Von Montag bis Freitag täglich eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Es war am Samstag. Aber leider hatten wir zuwenig Zeit und sind gleich vorbei- und weitergefahren. Und das, obwohl sich der Chor nach allen Regeln der Kunst drehte und wand. Aber um mich zu bekehren braucht es dann vielleicht doch ein bisserl mehr als 20 Kinder in roten T-Shirts.

Dabei hatten sie sich soviel Mühe gegeben – und ich glaubte wirklich nur ganz ganz kurz (und durch geschlossene Autoscheiben), dass es sich hier um eine SP-Veranstaltung handeln könnte. Schließlich ist ja irgendwie doch schon ein bisserl Wahlkampf. Und knallrote Leiberln im unmittelbaren Nahbereich der Wiener Linien legen in der Regel einen Schluss nahe. Aber diesmal war der eben falsch.

Jesus

Denn auf den T-Shirts des mindestens 20-köpfigen Kinderchores, der da neben dem Abgang zur U-Bahn-Station Pilgramhasse Position bezogen und seine Lautsprecheranlage aufgebaut hatte, stand nichts einschlägig sozialdemokratisches sondern einfach nur „Jesus“. In fettem weiß auf rotem Grund. Und zum Lob des Herrn schmetterten die Kinder und Jugendlichen Gesänge über die zur U-Bahn eilenden.

Ich musste lachen. Und schämte mich sofort. Aber der letzte Bekehrungschor dem ich begegnet war, hatte mich in Peking erwischt: Zu Mittag waren dort etwa 50 uniformierte Kinder vor einer McDonalds-Filiale gestanden. Sie hatten gesungen und getanzt. Lange vor DJ Ötzi - aber doch zum höheren Lob des Burgers. Als Höhepunkt der Veranstaltung war dann Ronald McDonald aus dem Laden gekommen und hatte uns „erlöst“: Die Kinder, ein paar Westler und ziemlich viele Chinesen waren ihm wie die Lämmer an die Theke des Burgeroutlets gefolgt – ich mit ihnen. Die biblischen Frohbotschafter in Wien taten sich da eindeutig schwerer.

Gospel

Wir standen – wie gesagt ­ an der Kreuzung Wienzeile/Pilgramgasse. Und irgendwie fand ich es echt schade, dass wir nicht stehen bleiben und zuhören konnten: als wir uns in die Bushaltestelle zwicken wollten, drohte der anrollende 14A uns durch lautes Hupen (zu Recht) mit Überrollen – und so erhaschte ich nur einen kurzen Blick: Die Kinder ließen ihre „Danke“-Gospels mit Inbrunst heraus ­ und übten sich dazu im choreographierten Formationstanz: Ihnen gegenüber, im Schatten des Radständers und des Blumenladens stand ein Tontechniker am Mischpult. Und neben ihm gab eine Halbwüchsige – ebenfalls im Jesus-Leiberl – per Handzeichen und mit vollem Körpereinsatz die Choreographie vor.

Der Chor beugte sich. Der Chor drehte sic. Der Chor hob die Hände. Und so weiter. Nur leider blieb halt niemand stehen um das bestimmt ziemlich sympathische christliche Bekehrungswerk in vollen Zügen zu genießen, die Musik in sich aufzunehmen, die Saat des Wortes Wurzeln schlagen zu lassen und hernach – in angemessener Zeit – selbst Teil des großen Rechristianisierungsprojektes zu werden: Die Leute liefen achtlos an den Jesus-Sängern vorbei. Und auch wir mussten weiter fahren bevor uns die Frohbotschaft erreichen konnte.

Danke

Aber ganz stimmte das dann doch nicht: Die Melodie – oder zumindest ein Melodiefragment – hatte sich in unseren Köpfen eingenistet. Und das, obwohl ich nicht einmal sicher war, ob die Kinder tatsächlich dieses Lide gesungen hatten. Aber die Melodie wollte nicht mehr heraus. Oder besser: Wollte zwar heraus, aber nicht weichen: Und als ich dann – völlig gedankenlos – zuerst vor mich hin zu pfeifen begann, dann summte und schlussendlich trällerte, sprang A. voll auf die Bremse: Wenn ich noch einmal „Danke für meine Arbeitsstelle, danke für jedes kleine Glück“ sänge, würde sie den Schleudersitz aktivieren ­ und zwar ohne Vorwarnung.

Der Rest der Fahrt verlief schweigend. Als wir viel später wieder an der Pilgramgasse vorbei kamen, war der Chor verschwunden. Ich überredete A. zu einem McDonalds-Drive-In-Besuch. Es fiel uns beiden nicht leicht. Und obwohl ich ohnehin nicht wirklich daran geglaubt hatte, war ich irgendwie doch ein wenig enttäuscht, als auch dort kein tanzender Chor uns erlösen wollte.