Für Israel war Benjamin Netanyahus Rücktritt ein mittleres politisches Erdbeben. Premier Ariel Sharon signalisierte mit der raschen Ernennung eines neuen Finanzministers Geschäftsgang wie üblich, und die Kurse der Tel Aviver Börse, die Minuten nach der Rücktrittsmeldung zu purzeln begonnen hatten, zogen Montag früh schon wieder an. Vor allem aber waren in keiner Phase echte Zweifel daran aufgekommen, dass der so lange geplante Abzug aus dem Gazastreifen auch wirklich nächste Woche starten wird.

Wirklich aufregend war dabei nicht die Tatsache des Rücktritts, sondern das Timing. Netanyahu hatte den Gaza-Abzug immer wieder zu bremsen versucht, insbesondere durch die Forderung nach einer Volksabstimmung, und sein Rücktritt als Finanzminister war monatelang in der Luft gelegen. Dass Netanyahu erst so spät ausgeschert ist, ist ein Indiz dafür, dass er den Abzug nicht wirklich stoppen wollte, sondern sein Come-back als Regierungschef vorbereitet.

Dem Mann, der als Premier in den 90er-Jahren, wenn auch zähneknirschend, die Oslo-Verträge übernahm und mit Yassir Arafat den Abzug aus Hebron aushandelte, ist nur bedingt zu glauben, dass er jetzt seinem Gewissen folgt. Er konnte es sich nicht leisten, jener Politiker zu sein, der den Gaza-Abzug torpediert. Doch durch den spektakulären Rücktritt profiliert sich Netanyahu jetzt zeitgerecht als Führer des mächtigen rechten Likud-Flügels, der Sharon als "Verräter" betrachtet. Geht der Abzug glatt vonstatten und bleibt es danach ruhig, wird Sharon den jüngeren Rivalen wohl noch einmal abwehren können. Kommen neue Terrorwellen, dann hätte "Bibi" Recht gehabt und bekäme nach seiner demütigenden Niederlage 1999 wohl eine zweite Chance als Likud-Chef. (DER STANDARD, Printausgabe, 09.08.2005)