Die Angst gebiert Monster: Infolge des Kalten Krieges herrschte in den USA in den Nachkriegsjahren Aufbruchstimmung, wenn es um die Apokalypse ging.

Foto: Bear Family
Damit belegt das deutsche Label "Bear Family" den zeitlosen Wahnsinn menschlicher Existenz.


Wien - Als am 6. und 9. August 1945 die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki fielen, veränderte sich die Welt. Nicht nur, dass man seit heute 60 Jahren die Bombe immer mitdenken muss, wenn es darum geht, die Welt zu deuten. Mit dem durch die Atombomben verursachten Grauen wurde in Folge des Zweiten Weltkriegs auch der "Kalte Krieg" entscheidend mitbefördert. Und mit ihm die Möglichkeit, tatsächlich jederzeit die Aus-Taste drücken zu können.

Es entstand, vom so genannten Zeitgeist mitbefördert, damals auch ein sich Jahre haltender todessehnsüchtiger "Modetrend" in der Popkultur. Der sollte das nackte Grauen und den Horror der somit geschaffenen Faktenlage nicht nur relativieren. Man versuchte der bizarren neuen Technologie der faktischen Bedrohung in Folge auch in Verbindung mit wehrhafter Kommunistenhatz in der Mode (Bikini, Atombüstenhalter . . .), im Film (The Girl In The Kremlin (Is Stalin Alive?) oder Duck And Cover) und vor allem auch in der Musik als schnellstem und unmittelbarstem Trendbarometer für soziale Zu- und Umstände gerecht zu werden.

Aus heutiger Sicht himmelschreiend zynisch dabei: Mit Erfolg wurden damals, etwa auch in Duck And Cover oder in Filmchen wie Bombproof und Occupying A Public Shelter, die Leute schlichtweg für dumm verkauft.

Mit dem noch heute gern in Märchen für die kleinen und großen Kinder geprägten Begriff der "taktischen Atombombe", also der Unterstellung, eine im Kriegsfall verwendete Nuklearwaffe habe auch nur irgendetwas mit so etwas Ähnlichem wie Vernunft zu tun, wurde nicht nur in besagten "Lehrfilmen" der US-Regierung eines in Aussicht gestellt: Atombombenangriffe in der mittelbaren Nachbarschaft können nicht nur bei guter Laune und ohne Hysterie im heimischen Bunker im Keller überlebt wer- den - wenn man dafür und für die nukleare Halbwertzeit genügend langen Atem besitzt.

Zur Not tut es auch ein Klassentisch in der Schule. Unter den verkriecht man sich, wenn es draußen schnell sehr hell wird und ein stärkerer Wind aufzieht: "Duck And Cover!" Danach: Raus zum Aufräumen! Wiederaufbau!

Das deutsche Label Bear Family, seit Jahren verdienstvoll, wenn es darum geht, mehr oder weniger zu Unrecht vergessene bizarre Kulturschätze aus der Popgeschichte zu heben (wer braucht schon wirklich eine CD-Gesamtausgabe von Dean Martin im Zwei-Kilo-Format oder angloamerikanische Künstler aus den 60er- und 70er-Jahren, wenn sie deutsch singen wie auf der fabelhaft obskuren Endlosreihe 1000 Nadelstiche?), legt nun für 150 Euro ein einzigartiges Dokument vor.

Wer es will, kann ruhig auch Parallelen zum heutigen "Krieg gegen den Terror" ziehen: Die sechsteilige CD- und DVD-Box Atomic Platters. Cold War Music From The Golden Age Of Homeland Security belegt inklusive Buch unter anderem mit den hier präsentierten Filmen nicht nur gezielte Regierungs-, Hollywood- und überhaupt Entertainment-Propaganda angesichts der vor allem daheim in den USA für demokratischen Kahlschlag sorgenden Hetze gegen die "rote Bedrohung". Für so genannte demokratische Staaten noch heute wenig nachvollziehbar, versuchte man auch den "Zivilschutz" verhandelnde "Filmdokumentationen" wie What Is Communism?, Our Cities Must Fight oder Warning Red als plausible und wirksame Möglichkeiten zu verkaufen, wenn es darum ging, den eigenen Lebensentwurf zu schützen.

Gewehr bei Fuß

Selbst Zyniker wie US- Anarchokomiker Groucho Marx oder der sonst für derartige Propaganda weit gehend unempfängliche Country-Rebell Johnny Cash standen mit hier dokumentierten Radio- und TV-Spots Gewehr bei Fuß, wenn es darum ging, das Überleben angesichts des Irrsinns zu verkaufen: "Exzellente Überlebenschancen!"

Musikalisch gesehen haben wir es hier bei über 100 Songs zwischen Blues, Country, Gospel und Rock 'n' Roll nicht nur mit der Einbürgerung und Personalisierung bedrohlicher Zeiten in das Privatleben unserer Väter zu tun. Siehe: This Cold War With You oder I Dreamt I Saw Khrushchev (In A Pink Cadillac). Neben beinharten Protestsongs wie Let's Keep The Communists Out und Watch World War Three (On Pay TV) versuchte man der Bedrohung auch positive Seiten abzugewinnen.

Weltlich gesungen: Thirteen Women (And Only One Man In Town) , beziehungsweise You Hit Me Like An Atomic Bomb . Für die Kirche: Jesus Is God's Atomic Bomb oder Jesus Hits Like An Atomic Bomb . Wenn man sie lässt, ist die Menschheit ein ziemlicher Wahnsinn. (DER STANDARD, Printausgabe, 09.08.2005)