"Amour, acide et noix" von Daniel Léveillé
Foto: STANDARD
Wien - Eine Frau stolpert in einem schwarzen Strickkleid vor ihr Publikum im Schauspielhaus und erklärt aufgeregt, sie könne dieses Stück nicht spielen. Sie verstehe ja nicht einmal, worum es darin gehe. Tatsächlich findet die im ImPulsTanz-Programm angekündigte Tanzperformance "hey dude... i have talent... i'm just waiting for god" nicht statt.

Die südafrikanische Choreografin Robyn Orlin hat ihrer portugiesischen Kollegin Vera Mantero vielmehr ein Stück auf den Leib gestrickt, in dem das Publikum, während es erfährt, was hätte sein können, ganz woanders hin entführt wird. Statt nach Afrika, wie angekündigt, geht es nach Portugal. Eine kurze Erinnerung an die Nelkenrevolution wird zum Programm für das, was nun kommt: Orlin und Mantero proben einen - sanften - Aufstand im streng begrenzten Theaterraum.

Immer wieder entweicht die Tänzerin nach draußen, auf die Gänge, in die Garderobe, sogar auf die Straße, wo sie eine Zigarette raucht und mit dem riesigen Rollkragen ihres Schlauchkleides kämpft. Über Video wird all dies ins Theater übertragen. Manteros Rolle ist es, das fiktive, für sie nicht spielbare Stück zu erklären. Dafür stellt sie eine etwas konfuse Figur dar, deren Kleid nach jeder Rückkehr vors Publikum anders gefärbt ist.

Afroeuropäische Kontexte

Indirekt führen Orlin und Mantero an afroeuropäische Kontexte heran. Der Theaterraum zum Beispiel ist wie Europa. Und Europa ist bekanntlich ausverkauft bis zum letzten Arbeitsplatz. Die Theaterpolizei wacht darüber, dass nicht zu viel Publikum (etwa aus Afrika) den ZuschauerInnenraum stürmt. Niemand allerdings öffnet die Türen und sucht nach anderen Lösungen.

Ins Visier dieser grandiosen Parodie auf Ortlosigkeit und Unbehaustheit geraten unser "Realitätsfern-Sehen" mit seinen Eyecatcher-Ansichten vom jeweils Fremden. Wirklichkeitsfremd ist auch das Image des Körpers, weil dessen Darstellung jeweils kulturbedingten Begrenzungen unterworfen sind. Im zeitgenössischen Tanz werden diese der menschlichen Selbstreflexion vorenthaltenen Körper wieder präsent gemacht.

Blick der ZuschauerInnen

Der kanadische Choreograf Daniel Léveillé versteht es, der vielerorts eingefleischten Genitalpanik zu widersprechen, ohne die Reizschwelle zum Pornografischen zu überschreiten. ImPulsTanz präsentierte im Akademietheater zwei seiner Arbeiten, "La pudeur des icebergs" und "Amour, acide et noix", in denen er und seine TänzerInnen sich des Blicks der ZuschauerInnen annehmen. Jenes Blicks vor allem, der durch prüde Sexualisierung eingetrübt wird, sobald sich ihm nackte Haut und Geschlechtsteile vorstellen.

Beide Werke verhandeln in ihrer tänzerischen Choreografie auch die Organisation des Schauens, und das in mitreißender Gelassenheit, die auch Brüche, Unsicherheiten und verhaltene Krisenmomente auf der Bühne zulässt. Bei Léveillé geht es weniger um die Darstellung der Beziehungen zwischen den Personen auf der Bühne als vielmehr um das Lebendigwerden der Verhältnisse zwischen Tänzern und Publikum. Dieses dankte mit begeistertem Applaus. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, Print, 9.8.2005)