Kopenhagen/Brüssel - In der Europäischen Union bröckelt die Front der Befürworter einer künftigen Mitgliedschaft der Türkei. Nachdem Frankreichs Premier Dominique de Villepin zuletzt "jedweden Verhandlungsprozess" von der Anerkennung Zyperns durch Ankara abhängig gemacht hat, meinte der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen nun erstmals, dass eine türkische Vollmitgliedschaft keine "Notwendigkeit" sei. Eine EU, die an Syrien und den Irak grenze, könne er sich nur schwerlich vorstellen. Man sei gezwungen, "den Stier bei den Hörnern zu packen" und zu diskutieren, wie groß Europa werden könne.

Die Aussagen des dänischen Regierungschefs haben die Opposition auf den Plan gerufen. "Er bläst zum Rückzug", erklärte die Sprecherin der linksgrünen Sozialistischen Volkspartei, Anne Grethe Holmsgaard, am Montag in Kopenhagen. Die Tageszeitung "Politiken" warf dem Premier in einem Leitartikel "Opportunismus und Schwäche" vor, nachdem sich in Umfragen 58 Prozent der Dänen gegen einen EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen hatten.

Warten auf Deutschland

Wie andere EU-Regierungen dürfte auch die dänische darauf hoffen, dass ein Regierungswechsel in Deutschland nach den Bundestagswahlen im September die Gewichte zu Gunsten der Beitrittsgegner entscheidend verschiebt. Für CSU-Chef Edmund Stoiber ist eine EU-Vollmitgliedschaft der Türkei indiskutabel. "Wir sagen ganz klar: Die Türkei kann kein Vollmitglied der Europäischen Union werden", bekräftigte Bayerns Ministerpräsident am vergangenen Wochenende. Es sei auch nicht akzeptabel, dass die Türkei in die EU wolle, aber sich weigere, das EU-Mitglied Zypern anzuerkennen. Auch die FDP als voraussichtlicher Koalitionspartner der Union fordert die Anerkennung Zyperns durch Ankara vor Beginn der Beitrittsverhandlungen Anfang Oktober.

Stoiber begrüßte die jüngste Haltungsänderung der Regierung in Paris: "Das eröffnet neue Chancen, dass die Verhandlungen mit einer unionsgeführten Bundesregierung und einer neuen Linie in Frankreich doch in eine andere Richtung gelenkt werden können als bisher". Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hatte vergangenen Donnerstag verärgert auf die Aussagen des französischen Premierministers reagiert: "Es kommt nicht in Frage, dass wir über irgendeine neue Bedingung für den Beitrittsprozess reden, der am 3. Oktober anfangen soll". Erdogan berief sich auf Präsident Jacques Chirac, der ihm in der Vergangenheit versichert hätte, eine türkische Anerkennung Zyperns sei vor Beginn der Verhandlungen nicht erforderlich. Doch der französische Außenminister Philippe Douste-Blazy stellte anschließend nochmals klar, dass jedes Land, das Beitrittsverhandlungen aufnehme, zuvor alle Mitglieder der Union anerkennen müsse. Villepin selbst schloss nicht aus, den Termin 3. Oktober noch platzen zu lassen.

Beschluss

Die Staats- und Regierungschefs hatten Ende 2004 beim Beschluss zur Aufnahme der Türkei-Verhandlungen zwar nicht explizit eine völkerrechtlich verbindliche Anerkennung Zyperns durch Ankara verlangt. In der EU war man aber davon ausgegangen, dass die Ausdehnung der Zollunion als indirekte Anerkennung Zyperns zu werten sei. Die Türkei hat zwar ein Protokoll über die Erweiterung der Zollunion um die im Mai 2004 beigetretenen zehn neuen EU-Mitglieder unterzeichnet, in einer separaten Erklärung hat sie jedoch festgehalten, dass sie mit der Unterzeichnung nicht die Republik Zypern anerkannt habe.

Die Türkei sieht sich auch mit massiven Forderungen konfrontiert, einen gesetzlichen Rahmen für die Religionsfreiheit der nichtmuslimischen Minderheiten zu schaffen. Erweiterungskommissar Olli Rehn hat ein entsprechendes Schreiben nach Ankara geschickt. Ankara will sich aber erst nach Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit den von Brüssel urgierten gesetzlichen Maßnahmen zur Religionsfreiheit befassen. Der Vatikan hatte die "institutionelle Christenphobie" in der Türkei kritisiert; Glaubensfreiheit existiere allenfalls auf dem Papier, sagte der bisherige Nuntius in Ankara (und künftige Nuntius in Wien), der libanesische Erzbischof Edmond Farhat. In den vergangenen Tagen hatten die staatlichen Behörden den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. von Konstantinopel, das im Phanar in Istanbul residierende Ehrenoberhaupt der orthodoxen Christenheit, massiv unter Druck gesetzt. (APA/AFP)