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Salzburg - Wenn es ihn noch gibt, den wohlerzogenen, belesenen, witzigen, gleichzeitig aber auch etwas steifen britischen Gentleman, wie er Monty Python einst zu so vielen Sketches animierte, dann findet er heute in Julian Barnes seine perfekte Verkörperung.

Nur ein einziges Mal ist der 59-Jährige in all den Jahren, seit er mit Büchern wie Die Geschichte der Welt in 10 1/2 Kapiteln als Schriftsteller zu europaweitem Ruhm kam, wie John Cleese aus der Rolle gefallen: Als ihm sein Kollege Martin Amis einst mitteilte, er wolle seine Agentin wechseln - die damals Barnes' Ehefrau Patricia Kavanagh war -, ließ er sich zu einem zornigen Brief an Amis hinreißen, in dem das F-Wort mehr als einmal Verwendung fand und der mit sich brachte, dass zwei der führenden englischen Autoren unserer Zeit sich seit zehn Jahren aus dem Weg gehen.

Beim Interview anlässlich der Verleihung des mit 22.000 Euro dotierten Österreichischen Staatspreises für Europäische Literatur an ihn war Barnes freilich, wie nicht anders zu erwarten, ganz Gentleman und dachte in bestem Oxford-Englisch laut über Literatur und Politik nach.

STANDARD: Mr. Barnes, was bedeutet es für Sie, einen Preis zu bekommen, der das Wort "europäisch" im Namen trägt?

Barnes: Es ist eine große Genugtuung. Der Preis bedeutet, dass meine Bücher gereist sind. Das ist eines der schönsten Komplimente. Wenn man ein Buch schreibt, denkt man in der Regel nicht einmal daran, wie es im eigenen Land aufgenommen wird, geschweige denn an die Übersetzung und wie es in einer fremden Sprache aussehen wird. Ich bin sehr überrascht über diesen Preis.

STANDARD: Sie sind aber doch aufgrund Ihres Romans "Flauberts Papagei" in Frankreich ein Star und auch sonst in ganz Europa längst ein Begriff. Könnte man Sie einen europäischen Autor nennen?

Barnes: Ich weiß nicht. Es ist seltsam: In England halten sie mich für einen halben Franzosen, in anderen Ländern gelte ich wohl als sehr britisch. Wahrscheinlich bin ich gleichzeitig Brite und Europäer. Ich freue mich, dass meine Bücher in so viele Sprachen übersetzt werden. Das ist ein Luxus unserer Zeit. Als ich jung war, gab es nur zwei oder drei lebende englische Autoren, die ins Französische übersetzt wurden.

STANDARD: Dann ist Globalisierung in der Literatur also eine gute Sache?

Barnes: Nicht wirklich, denn Globalisierung meint meist Homogenisierung und dass alles überall in der gleichen Form verfügbar ist. Das hat mit Literatur nichts zu tun. Es gibt höchstens die Globalisierung des Da Vinci Codes. Und zwar deshalb, weil dieses Buch so schlecht geschrieben ist, dass es durch Übersetzung nicht mehr verlieren kann, im Gegenteil. Echte Literatur aber verliert durch Übersetzung immer.

STANDARD: Kommen wir zur Politik. Sie haben sich in Ihren Romanen mit Ihren Ansichten immer sehr zurückgehalten, gerade aber in den letzten Jahren einige sehr pointierte journalistische Texte z. B. über den Krieg im Irak geschrieben.

Barnes: Ich möchte vorausschicken, dass Journalismus und Literatur zwei ganz und gar unterschiedliche Dinge sind. Wenn man den Roman nur dazu verwendet, seine politischen Ansichten auszudrücken, ist das schlecht für den Roman. Jedoch können beide Formen meines Erachtens im besten Fall dazu dienen, der Wahrheit ein wenig näher zu kommen.

STANDARD: Ihr kürzlich in England erschienener Roman "Arthur & George" über den Sherlock-Holmes-Erfinder Arthur Conan Doyle und die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte seines Einsatzes für einen zu Unrecht inhaftierten Mann indischer Herkunft lässt sich aber auch als Kommentar zum blühenden Alltagsrassismus lesen.

Barnes: Das stimmt, diese Geschichte aus dem Jahr 1903 könnte auch heute stattfinden. Es gab in den letzten Jahren mehrere Fälle, wo die Polizei mit Menschen indischer Herkunft ähnlich umgegangen ist, wo Beweismittel gefälscht wurden. Ich finde es jedoch wichtig, in einem Buch, das vor 100 Jahren angesiedelt ist, nicht zu sehr auf Vergleiche mit der heutigen Situation zu setzen. Dass das Buch auch bereits mit den Terroranschlägen auf London in Zusammenhang gebracht wurde, ist ganz eindeutig zu weit hergeholt. Wie gesagt: Literatur und Journalismus sind völlig verschiedene Dinge.

STANDARD: Sie waren 2003 als Journalist im Irak. Sie schrieben, Tony Blair glaube ernsthaft, dass der Krieg die Terrorgefahr reduzieren würde.

Barnes: Er lag damals daneben und er tut es auch heute, wenn er sagt, dass es keinen Zusammenhang zwischen den terroristischen Angriffen auf London und dem Krieg gegen den Irak gibt. Mag sein, dass Tony Blair bis zu den Bomben tatsächlich so gedacht hat. Jetzt kann er natürlich nicht zugeben, dass es eine Verbindung gibt und wir das jetzt durchstehen müssen, denn das wäre politischer Selbstmord. Das wiederum hat zur Folge, dass sich Blair in seinen Aussagen zurzeit sehr oft verbiegen muss. Vieles, was er und Bush äußern, erscheint mir ungefähr so logisch wie bei Lewis Carroll, es ist eine Alice im Wunderland-Logik.

STANDARD: Wie ist es denn um die Akzeptanz von Blair in der englischen Bevölkerung bestellt?

Barnes: Mir scheint, er ist die Art von Politiker, die immer wieder gerade noch davonkommt. Ich weiß nicht, ob er clever ist oder einfach Glück hat. Vielleicht denken die Leute auch nur, dass es keinen Ersatz gibt. Überhaupt ist in England momentan alles wie gelähmt. Die Tatsache, dass die ersten Bomber keine Al-Kaida-Leute, sondern in England geborene Einwandererkinder der zweiten Generation waren, hat viele Leute sehr schockiert und die Lage weiter verkompliziert. Es wäre zu einfach, allein Tony Blair zu beschuldigen.

STANDARD: Die Wege aus diesem Kreislauf der Gewalt scheinen vernagelt.

Barnes: Na ja, es gibt immer noch die gute alte Möglichkeit, auf den Terror und die Forderungen einzugehen. Ich glaube nicht, dass das geschehen wird, aber es sind schon viele unglaubliche Dinge passiert. Erzbischof Makarios von Zypern, der in meiner Jugend der berühmteste Terrorist seiner Zeit war, wurde später Präsident seines Landes. Die IRA, die die letzte große Bombenbedrohung für London war, trifft sich plötzlich mit Tony Blair.

Also: Wenn wir unsere Truppen jetzt aus dem Irak zurückziehen würden, hätte der Terror vermutlich fürs Erste ein Ende. Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass die Fundamentalisten bald wieder neue Gründe finden würden, um Anschläge durchzuführen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10. 8. 2005)