Mag die Restschweiz derzeit über Bären debattieren, seit ein solcher sich im Graubündner Münstertal hat blicken lassen und dort ein Kalb verspeiste - Locarno steht ganz im Zeichen des Leoparden. Selbst soignierte Ober müssen sich jedes Jahr im August zur steinernen Miene einen gefleckten Kummerbund anlegen, und das inflationäre Aufkommen des Festival-Wappentiers setzt sich immer mehr auch in Preisform fort:

Gleich drei Regisseure, nämlich Abbas Kiarostami, Wim Wenders und Terry Gilliam, können heuer einen Ehrenleoparden mit nach Hause nehmen. Susan Sarandon wiederum darf ab sofort ebenso wie ihr Kollege John Malkovich und der italienische Kameramann Vittorio Storaro einen so genannten "Excellence Award" ihr Eigen nennen.

Die Ironie dabei: Jener Mechanismus, mit dem die US-Schauspielerin in einer öffentlichen Fragestunde ihre persönliche Motivation zu humanitärem und politischem Engagement begründete - Stars erzeugen und sichern Medieninteresse und -präsenz -, motiviert wohl auch Filmfestivalverantwortliche allerorten, eben solche auszuzeichnen und folglich einzuladen.

Filme alleine, so scheint es, reichen längst nicht mehr für Distinktionsgewinn und für das Interesse von Sponsoren. Das abendliche Programm auf der Piazza Grande, dem riesigen Freiluftkino, das man noch vor wenigen Jahren mit Straub/Huillet zu bespielen wagte, gleicht heuer - mit Reprisen von Dick Tracy oder Time Bandits - endgültig einem x-beliebigen Sommerkino.

Und während in einem cineastischen Paralleluniversum eine beeindruckende Orson-Welles-Werkschau stattfindet (im September im Österreichischen Filmmuseum anzusehen), lassen die anderen Sektionen des 58. Internationalen Filmfestivals von Locarno bis jetzt Vergleichbares vermissen.

Maulheldentum

Als Entdeckung kann man allenfalls Gisela verbuchen, den zweiten Kinospielfilm der deutschen Regisseurin Isabelle Stever, der auf dem gleichnamigen Roman von Anke Stelling und Robby Dannenberg basiert. Eine präzise geschriebene und gespielte lakonische Erzählung um zwei nicht mehr ganz junge Tagediebe in einer anonymen Wohnbausiedlung, die sich in Trinkgelagen und sexuellen Prahlereien ergehen und bei all dem Maulheldentum doch unweigerlich in den Bann der Titelheldin geraten.

Eine vergleichbare Anlage hat auch Keller - Teenage Was- teland. Die österreichische Produktion, das Erstlingswerk der jungen Regisseurin Eva Urthaler läuft im Hauptwettbewerb des Festivals. Leider bedient der Film in erster Linie Bubenfantasien: Zwei gelangweilte Schüler entführen sich eine schöne Supermarktkassiererin in eine Fabriksruine. Sobald sie dort einmal an einen Stuhl gefesselt ist, haben die beiden keine rechte Verwendung mehr für sie, der Film hat aber immerhin ein dekoratives Schaustück.

Mit drei Filmen - Fridolin Schönwieses Dokumentation Volver La Vista, Harald Hunds Animation All People Is Plastic und Sperrstunde von Thomas Woschitz und Naked Lunch - präsentierte sich die Wiener Produktionsfirma Amour Fou in Locarno hingegen in Feierlaune. Die Kärntner Band ließ im ehrwürdigen Grand Hotel zu Sperrstunde die Wände wackeln. Das entschädigte dann doch für einiges. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10. 8. 2005)