derStandard.at: Der venezolanische Präsident Hugo Chavez hat den Indigenas erstmals offiziell die Eigentumsrechte für das Land ihrer Vorfahren zuerkannt. Was ist dieser Zuerkennung vorausgegangen?

Kuppe: Die meisten der indigenen Völker Venezuelas leben seit jeher auf Ländereien, die sie bewirtschaften, besiedeln und zu denen sie eine starke spirituelle Beziehung haben. Land ist für diese Völker nicht nur wichtig für ihr Überleben, sondern auch für ihre Identität. Und dennoch haben die betroffenen Ländereien in den meisten Ländern Lateinamerikas immer dem Staat gehört. Die Indianer lebten sehr lange in einer sehr prekären Situation, haben es aber letztendlich geschafft, sich politisch zu artikulieren.

In manchen Ländern Lateinamerikas hat es politische Reformen bereits in den Achtzigern gegeben, in Venezuela dauerte diese Entwicklung länger. Erst nach der "Bolivarianische Revolution" unter Chavez konnten sich die indigenen Völker politisch mobilisieren und im Rahmen der neuen Verfassung ihre Rechte geltend machen. Erstmals in der Geschichte Venezuelas haben die Indianer die Möglichkeit gehabt, auch an der Gesetzgebung mitzuwirken.

derStandard.at: Werden die neuen Rechte die Situation der indigenen Völker Venezuelas nun nachhaltig verbessern?

Kuppe: Wichtig ist, dass die Indianervölker ihre Ländereien nun gegenüber Entwicklungsprojekten, gegenüber unkontrollierter Invasion schützen können. In Venezuela haben sich beispielsweise in den 30er Jahren im Nordwesten des Landes Großgrundbesitzer ausgebreitet, die in exportorientierte Viehzucht investiert haben. Damals wurden den Indianern die Ländereien gewaltsam weggenommen. Bis heute haben die meisten der damals entstandenen Haziendas keine Landtitel, sie bestehen also de facto auf Ländereien, die nach wie vor als Lebensräume der Indianer gelten.

derStandard.at: Da sind Konfliktsituationen ja geradezu vorprogrammiert?

Kuppe: Es ist nicht ganz klar, was die Anerkennung der indianischen Ländereien tatsächlich bedeutet. Im konkreten Fall ist nicht geklärt, ob Länder, die den Indianern zwar traditionell gehörten, aber seit Jahrzehnten im fremden Besitz, nicht im Eigentum, sind, rückerstattet werden können. Ich war selbst vor einigen Monaten in diesem Gebiet und muss sagen, dass die Situation sehr prekär ist. Die Indianer haben teilweise die Haziendas besetzt und werden von den Sicherheitskräften nicht wirklich daran gehindert. Nun steht zu befürchten, dass die Großgrundbesitzer nach dem Vorbild Kolumbiens private Paramilitärs engagieren, um die Indianer von ihren Ländereien fern zu halten. Das ist eine besorgniserregende Konfliktsituation. Eine andere ergibt sich dort, wo auf den Ländereien der indigenen Völker Erdöl ausgebeutet wird.

derStandard.at: Wie sind die Indigenas in Venezuela politisch organisiert. Wie stark ist ihre Lobby?

Kuppe: Durch die neue Verfassung und den politischen Aufbruch haben sich die Indianer mobilisiert. Es gibt nun viele verschiedene indianische Organisationen, die um die Anerkennung ihrer Landrechte kämpfen. Die Situation wäre aber günstiger, wenn diese Organisationen gemeinsam und kontinuierlich an der Sache arbeiten würden. Das ist derzeit nicht der Fall. Auch in den Behörden gibt es wenig Erfahrung in der Zusammenarbeit. Zusätzlich wurde das Gesetz zur Landrechts-Demarkierung leider sehr übereilt ausgearbeitet und enthält sehr viele innere Widersprüche.

derStandard.at: Eine weitere Forderung der Indios war die Anerkennung ihre Sprache als Amtssprache. Wie sieht es mit der Erfüllung aus?

Kuppe: Es gibt etwa 30 verschiedene Indianersprachen. Die Sprachen haben in den Siedlungsgebieten nun offiziellen Status und könnten theoretisch in allen anderen Landesteilen, etwa vor Gericht, ebenfalls verwendet werden. In der Praxis ist das jedoch schwierig, weil viele Indianersprachen wissenschaftlich noch nicht erfasst sind. Es gibt keine Dolmetscher, die zum Beispiel die schwierigen juristischen Fachtermini während einer Gerichtsverhandlung aus dem Spanischen übersetzen könnten. Im Bildungsbereich zeigen sich jedoch Fortschritte. Es gibt eine Stärkung von interkulturellen Schulen, die sich nicht mehr ausschließlich auf das westliche Geschichts- und Weltbild konzentrieren. Auf alle Fälle hat sich die Überzeugung unter der jungen Generation gestärkt, dass ihre Kultur das Recht hat, zu überleben.